Dialog(isch) - Was bewegt Deutschland? - Was darf der Staat und wo geht er zu weit?


  • 82-bp-standarte-75-png

    Dialog(isch) - Was bewegt Deutschland?

    Thema: Was darf der Staat und wo geht er zu weit?




    Vielen Dank an Ministerpräsident Holler für die Anregung zu diesem Thema.


    Ein sehr wichtiges Thema derzeit. Die Coronapandemie lässt uns alle in undenkbare Szenarien eintauchen und am eigenen Leib spüren. Was bislang für uns eine Selbstverständlichkeit war, ist in solchen Zeiten ein kostbares Gut geworden: Freiheit.


    Doch inwieweit darf der Staat in dieses Freiheitsrecht eingreifen? Darf er den Menschen dieses Grundrecht entziehen?


    Um dies zu beantworten, müssen wir ein wenig in die Geschichte unseres Landes blicken. Grundsätzlich gilt ja, dass wir bundesweit kein Gesetz haben, was zur Anwendung kommt, sollten wir uns in einem Katastrophenfall befinden. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt nicht über ein Katastrophenschutzgesetz. Lediglich die Bundesländer verfügen über ein solches Gesetz. Dementsprechend können die Länder selbst entscheiden, ob und wann ein Katastrophenfall eintritt und ihn dementsprechend ausrufen. Dann wird alle Kommandogewalt auf die Landesregierung übertragen, die üblicherweise den Landkreisen oder Städten obliegt.


    Die Bundesrepublik kann aber den Notstand ausrufen. Dabei wird dann von inneren oder äußeren Bedrohungsfällen unterschieden, wie beispielsweise Seuchen oder militärischen Angriffen. Diese Notstandsverfassung ist aber eine stark zurückgenommene Notstandsverfassung, was daran liegt, dass man nicht an Weimarer Zeiten anknüpfen wollte, in der diese Notstandsverordnungen zuletzt massiv von den Nationalsozialisten missbraucht worden sind. Daher waren in der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes auch keinerlei Notstandsbestimmungen vorgesehen. Dies änderte sich erst in den 1960er Jahren.


    Seit 1968 gibt es im Grundgesetz einige Gesetze für einen Notstand. Zum einen zur Abwehr einer drohenden Gefahr von innen - also für den Bestand oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes oder bei einem bewaffneten Angriff von außen. Dann kann der Verteidigungsfall festgestellt werden. Beides gilt in einer Pandemiesituation aber nicht. Wenn eine Naturkatastrophe oder ein Unglücksfall das Gebiet von mehr als einem Bundesland gefährdet, kann die Bundesregierung die Landesregierungen anweisen, anderen Bundesländern ihre Polizeikräfte zur Verfügung zu stellen. Außerdem kann sie die Bundeswehr - beispielsweise zur Unterstützung der medizinischen Versorgung - einsetzen. Besondere Entscheidungsbefugnisse bekommt eine Bundesregierung daraus aber nicht.


    Dennoch werden derzeit sehr viele Grundrechte eingeschränkt. Die häusliche Isolation, also die Quarantäne beispielsweise beschränkt die Fortbewegungsfreiheit, da man bestimmte Orte nicht mehr verlassen darf. Das Kontaktverbot beschränkt das allgemeine Persönlichkeitsrecht, da es zur freien Entfaltung einer Person gehört, andere zu treffen. Die Versammlungs- und Glaubensfreiheit wird eingeschränkt. Bestimmungen, die den Einzelhandel verbieten, beschränken die Berufsfreiheit. Das sind nur einige Beispiele dafür, dass Grundrechte derzeit massiv eingeschränkt sind.


    Dennoch muss in der derzeitigen Situation alles Notwendige getan werden, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen und um Menschenleben zu schützen. Gleichzeitig muss man aber auch ein Auge darauf haben, den Rechtsstaat nicht zu verletzen und die Bürgerinnen und Bürger dieses Rechtsstaates zu beschützen. Hier darf nicht das Credo sein: Not kennt kein Gebot!


    Das soll aber auch nicht heißen, dass keine Beschränkungen ausgesprochen werden sollten. Zum Schutz unserer Mitmenschen ist es sehr wichtig, die verfassungsrechtlichen Verfahren beizubehalten und die Parlamente entscheiden zu lassen, welche Maßnahmen in welchem Umfang zur Bekämpfung der Pandemie getroffen werden sollen und dürfen. In den Parlamenten sitzen die Volksvertreter. Die gewählten Abgeordneten. In einer Demokratie ist es angemessen, dass sich das Parlament darüber austauscht, unter welchen Umständen solche weitreichenden Eingriffe in die Grundrechte der Menschen möglich sein sollen und wie lange diese andauern müssen.


    In Anbetracht der aktuellen Situation müssen wir aber auch über die Frage reden, was jeder Einzelne tun kann, um Leben zu schützen. Wir befinden uns auf dem Höhepunkt der dritten Welle. Aktuelle Tendenzen lassen uns ein wenig durchatmen, dass die Belastungen auf den Intensivstationen leicht weniger werden. Ein guter Trend, der anhalten muss. Mir ist durchaus bewusst, dass es immer schwerer fällt, den stetig gleichlautenden Durchhalteparolen noch Glauben zu schenken. Aber wir können nur an die Menschen appellieren, durchzuhalten. Wir impfen mittlerweile täglich fast eine Million Menschen. Auch das gibt Hoffnung. Wenn wir noch einmal Vollgas geben, dann bin ich mir sicher, dass wir zum Herbst 2021 größtenteils durch die Pandemie durch sind. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir alle zusammenstehen und die Stärke zeigen, die uns ausmacht.


    Nun bin ich gespannt auf eine gute Diskussion.