Drucksache XI/015
Debatte
Stellungsnahme BvT 1/24 - Gesetz zu einer besseren Verhütung einer saisonalen Infektionsepidemie Nordrhein-Westfalens
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich wurde von der Präsidentin des OGs darüber informiert, dass die Bürgerschaft im vorliegenden Verfahren die Möglichkeit zur Stellungnahme erhält:
Alles anzeigenSehr geehrter Herr Bürgerschaftspräsident Dutschke,
nachfolgend übersende ich Ihnen den Schriftsatz, mit dem Herr Gerald Möller Popularklage gegen das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionsepidemie Nordrhein-Westfalens erhoben hat. Die Bürgerschaft erhält Gelegenheit, bis zum
31. Januar 2024, 00:00 Uhr
Stellung zum eingereichten Schriftsatz zu beziehen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Dr. Viktoria Christ-MazurPräsidentin des Obersten Gerichtes
Alles anzeigenAn das
Oberste Gericht
Schloßbezirk 3
76131 Karlsruhe
Gelsenkirchen, 22. Januar 2024
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
sowie
Popularklage
in Sachen
des Herrn Gerald Möller
- Antragsteller -
gegen
das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie in der seit dem 11. Oktober 2023 geltenden Fassung
- Antragsgegenstand -
beantrage ich im eigenen Namen für Recht zu erkennen, dass
1. das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionsepidemie im Wege der einstweiligen Anordnung außer Vollzug gesetzt wird;
2. das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionsepidemie mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig ist.
Begründung:
I.
Am 10. Oktober 2022 beschloss der Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen mit fünf zu drei Stimmen, das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie (GVI) anzunehmen. Damit trat es nach § 7 am 11. Oktober 2022 in Kraft.
Das Gesetz verpflichtet alle Personen, in öffentlichen Einrichtungen einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, soweit kein "durchgehendes Unterschreiten einer gesundheitsrelevanten Personendichte" sichergestellt werden kann (§ 3 Abs. 1 GVI). Im Falle einer aktiven Atemwegserkrankung bzw. Symptome einer solchen gilt die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in öffentlichen Einrichtungen permanent (§ 3 Abs. 4 GVI). Ausnahmen sind nur bei Vorlage eines Attests oder Einhaltung eines Mindestabstands von drei Metern zu anderen Personen möglich (§ 4 Abs. 1 GVI).
Die in § 3 GVI vorgeschriebene Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ist nach § 7 Abs. 2 GVI auch bußgeldbewährt, soweit es "im jeweiligen Landesgesetz vorgesehen ist".
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet, da eine Popularklage gegen das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie offensichtlich begründet ist.
1.
Nach § 18 Abs. 1 OGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, eine Popularklage erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Popularklage aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Popularklage der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>; stRspr).
2.
Nach diesen Maßstäben ist das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie außer Vollzug zu setzen, da eine Popularklage gegen das Gesetz offensichtlich begründet ist; ferner ist das Gesetz aufgrund der Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz für nichtig zu erklären.
a)
Das Gesetz verstößt gegen Art. 80 Abs. 4 iVm Abs. 1 GG, da es dem Gesetz einer ordnungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage fehlt.
aa)
Die Ermächtigung zum Erlass des Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie gründet nicht auf dem Recht zur Gesetzgebung im Sinne der Art. 70, 30 GG, da der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 iVm. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG abschließend und umfassend Gebrauch gemacht hat.
(1) Nach Art. 70 iVm. 30 GG haben grundsätzlich die Länder das Recht zur Gesetzgebung, solange das Grundgesetz nicht dem Bund das Recht zur Gesetzgebung zuweist. Dabei ist zwischen einer konkurrierender Gesetzgebung (Art. 72 iVm. 74 GG) und ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz (Art. 71 iVm. 73 GG) des Bundes zu differenzieren. Auf dem Gebiet der ausschließlichen Gesetzgebung hat grundsätzlich allein der Bund das Recht zur Gesetzgebung (Art. 71 GG), während im Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung die Länder das Recht zur Gesetzgebung haben, solange der Bund nicht von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht (Art. 73 Abs. 1 GG). Macht der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch, ist die Gesetzgebungskompetenz der Länder gesperrt (vgl. Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, 102. EL August 2023, Art. 72 Rn. 78 (im Folgenden: Maunz/Dürig, GG)); die vom Land erlassenen Gesetze sind nichtig (vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 72 Rn. 118 ff.).
Die Sperrwirkung des Bundesrechts richtet sich danach, ob der Bund eine erschöpfende und damit abschließende Regelung trifft. Dabei ist eine einzelfallbezogene Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes vorzunehmen (vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 72 Rn. 82 ff.): Es ist entscheidend, "ob ein bestimmter Sachbereich umfassend und lückenlos geregelt ist oder jedenfalls nach dem aus Gesetzgebungsgeschichte und Materialien ablesbaren objektivierten Willen des Gesetzgebers abschließend geregelt werden sollte. Für die Frage, ob und inwieweit der Bund von seiner Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat, ist in erster Linie auf das selbst, sodann auf den hinter dem Gesetz stehenden Regelungszweck, ferner auf die Gesetzgebungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien abzustellen." (Maunz/Dürig, GG, Art. 72 Rn. 83.; BVerfGE 109, 190 <230>; BVerfGE 109, 99 <115>; stRspr.)
(2)
Nach diesen Maßstäben hat das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie offensichtlich den Schutz vor Infektionskrankheiten zum Gegenstand. Diese Materie ist nach Art. 72 iVm. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung dem Bund zugeordnet.
Mit Erlass des Infektionsschutzgesetzes hat der Bund auch erschöpfend und abschließend von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Denn durch die detaillierte und häufige Befassung des Bundesgesetzgebers mit dem Infektionsschutzgesetz hat der Gesetzgeber insbesondere durch die Integration von Ermächtigungsgrundlagen für den Erlass von Rechtsverordnungen durch die Landesregierungen zum Ausdruck gebracht, dass er mittels des Infektionsschutzgesetzes einen bundeseinheitlichen Katalog für die Regelung von Infektionsschutzmaßnahmen schaffen wollte, den die Landesregierungen eigenständig durch Rechtsverordnungen vollziehen und regeln können.
Für eine weitere, eigenständige Regelung durch die Länder bleibt mithin kein Raum.
bb)
Des Weiteren fehlt es Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie an einer Ermächtigungsgrundlage.
(1)
Da Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie nicht auf einer eigenständigen Gesetzgebungskompetenz, muss es auf einer Ermächtigungsgrundlage eines Bundesgesetzes im Sinne des Art. 80 Abs. 4 iVm. Abs. 1 GG gründen. Hier kommt nur § 32 Abs. 1 S. 1 IfSG in Betracht.
Diese ermächtigt die Landesregierung (und über Art. 80 Abs. 4 GG auch die Länderparlamente) dazu, "unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 28b und 29 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen".
(2)
Demnach muss sich das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie an der Ermächtigungsgrundlage und den Voraussetzungen der §§ 28 bis 28b sowie §§ 29 bis 31 IfSG messen lassen.
In Betracht kommen allein die §§ 28 bis 28b IfSG.
§ 28b IfSG kommt als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht, da die in Abs. 1 bis 4 statuierten Fristen abgelaufen sind.
§ 28a IfSG kommt als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht, da der Bundestag keine epidemische Notlage nationaler Tragweite ausgerufen hat.
Da die Spezialvorschriften der §§ 28a, 28b nicht einschlägig sind, kommt allein die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG als Ermächtigungsgrundlage in Betracht:
Zitat von § 28 Abs. 1 S. 1 IfSGWerden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 28a, 28b und 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
Nach § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG darf die zuständige Behörde Schutzmaßnahmen treffen, wenn "Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt" oder sich ergibt, dass "Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war". Diese Ermächtigung bezieht sich folglich nur auf Fälle, in denen eine Infektion konkret bei einem Menschen festgestellt wurde; das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie dagegen ist eine abstrakt-generelle Regel, welche nicht auf die Regelung von Einzelfällen abzielt. Es ist folglich nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG umfasst.
Im Übrigen ist anzumerken, dass eine mögliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Regelungen zum Tragen von Atemschutzmasken durch Artikel 1b Nr. 16 des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 vom 16. September 2022 ausdrücklich aus § 28a IfSG entfernt wurde. Es ist demnach ausdrücklicher Wunsch des Gesetzgebers, derartige Maßnahmen nicht zuzulassen.
b)
Der Verstoß gegen Art. 80 Abs. 4 iVm. Abs. 1 GG ist auch offensichtlich. Rechtsverordnungen (und damit auch Gesetze nach Art. 80 Abs. 4 GG) bedürfen einer Ermächtigungsgrundlage. In diesem Fall wird eine Generalklausel, die Behörden in konkreten Fällen des Auftretens von Infektionskrankheiten zum Erlassen von Schutzmaßnahmen ermächtigt, zum Erlass einer abstrakt-generellen Regelung für alle herangezogen. Ein solcher Fehler ist weder durch Auslegung noch durch Analogiebildung heilbar, ohne § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG contra legem auszulegen. Die offensichtliche Begründetheit der Poularklage ist mithin festzustellen.
III.
Hilfsweise ist die einstweilige Anordnung auch zu erlassen, da dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Hierbei sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Popularklage aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Popularklage der Erfolg aber zu versagen wäre, abzuwägen. Hierbei überwiegen die Gründe für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
1.
Würde die einstweilige Anordnung nicht ergehen und hätte die Popularklage im späteren Hauptsacheverfahren Erfolg, besteht die dringende Gefahr, dass eine Regelungswirkung von einem bußgeldbewährten und verfassungswidrigen Gesetz ausgeht. Das ist gerade angesichts des Prinzips des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und dem Rechtstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) bedenklich, gerade da das Gesetz mit der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes einem befehlenden und repressiven Charakter hat. Der Staat würde unter Umständen bis zur ohnehin am 01. April diesen Jahres eintretenden auflösenden Bedingung des Gesetzes in Grundrechte eingreifen, obwohl das in diesem Fall nicht gerechtfertigt sind. Das ist angesichts der Grundrechtsbindung des Staats (Art. 1 Abs. 3 GG) hochproblematisch.
2.
Würde die einstweilige Anordnung ergehen und hätte die Popularklage im späteren Hauptsacheverfahren keinen Erfolg, so bestünde bis zum 01. April keine bußgeldbewährte Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen Schutzes. Das hat zur Folge, dass der Bürger eine Grundrechtseinschränkung, die ohnehin am 01. April wegfiele, nicht zu erdulden hätte. Insbesondere aufgrund der kurzen Zeit (zwei Monate) bis zum Eintritt der auflösenden Bedingung geht von der Aussetzung des Vollzugs des Gesetzes keine Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung durch Infektionskrankheiten aus, da die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen Schutzes ohnehin in zwei Monaten automatisch auslaufen wird. Eine Änderung zum Status-Quo ist mithin nicht zu erwarten.
Die Debatte dauert zwei Tage und endet somit am Donnerstag, 25.01.24, um 10.30 Uhr
Sollte kein Entwurf zur Stellungnahme eingereicht werden, bzw. in der anschließenden Abstimmung die notwendige Mehrheit der Stimmen der Bürgerschaft erhalten, sieht die Bürgerschaft von ihrem Recht auf Stellungnahme ab.