Koalitionsvertrag geleakt: Reanimation der Atomkraft fix

Koalitionsvertrag geleakt: Reanimation der Atomkraft fix



Seitdem die Grünen mitgeteilt haben, dass ihre Basis gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gestimmt hat, ist viel Zeit vergangen. Viel Zeit, in der es sehr still um die Regierungsbildenden in Berlin geworden ist. Nach dem obligatorischen Zanken um die Frage, wer denn nun Schuld an der geplatzten Linkskoalition gewesen sei, hat sich die Sozialdemokratische Partei doch noch dazu durchgerungen mit der Liberal-konservativen Allianz die Sondierungsgespräche fortzuführen, obwohl man diesen wenig zuvor bereits eine Absage erteilt hat. Zu groß seien die inhaltlichen Differenzen gewesen. Dennoch hat man es – mit ausgetauschtem Kanzlerkandidaten und offenbar nach bösen Blicken des Bundespräsidenten – ein zweites Mal versucht.


Nun hat sich gestern – gut zwei Wochen nach Wiederaufnahme der Verhandlungen – endlich ein Vertreter der Sozialdemokratischen Partei zu den GroKo-Verhandlungen zu Wort gemeldet - via vTwitter natürlich, wie es sich für die heutige Zeit eben gehört. Die Verhandlungen stünden kurz vor dem Abschluss, beide Parteien müssten große Kompromisse eingehen. Mijat Russ, der stellvertretende Vorsitzende der Partei, versucht damit wohl vorsichtig die Anhänger der Sozialdemokratie darauf vorzubereiten, was in dem ausgehandelten Koalitionsvertrat steht. Dass die SDP Russ zur Überbringung dieser Botschaft vorschickt und Kanzlerkandidat Müller öffentlich bisher in seiner Funktion als Verhandlungsführer quasi inexistent ist, zeugt ebenso nicht gerade vor strotzender Überzeugung über die Resultate der Verhandlungen.


Der Entwurf der Koalitionsvertrages, welcher vBild vorliegt, ist möglicherweise noch deutlich schlimmer als alles was nach der Ansage von Russ zu befürchten war. Gemäß dieses Entwurfes haben sich SDP und Allianz darauf verständigt, die Laufzeiten der letzten sechs noch in Betrieb stehenden Kernkraftwerken zu verlängern. Damit wolle man den vorgezogenen Kohleausstieg in Sachen Versorgungssicherheit ausgleichen. Dieser Ausstieg vom längst beschlossenen Ausstieg wird den deutschen Steuerzahlen Millionen kosten. Dazu macht die Koalition weiter keine Vorschläge hinsichtlich eines Endlagers für Atommüll. Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden diesen Punkt im Koalitionsvertrag mit großer Missgunst zur Kenntnis nehmen. Traditionell finden sich in der SDP viele Gegner der Atomenergie, vor allem aufgrund ihrer Risiken und der nicht abschließend geklärten Entsorgung des radioaktiv verseuchten Abfalls. Entsprechend kann dieser Punkt durchaus bei einigen ausschlaggebendes Kriterium dafür sein, den Vertrag in dieser Form abzulehnen und somit ein so lange ersehntes Happy End in Sachen Regierungsbildung doch noch zu gefährden.


Dazu einigen sich die Parteien laut dem Entwurf des Koalitionsvertrags auf das Auslaufen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Es darf dabei – nach einer sozialdemokratischen Regierung, welche sich scheinbar eher weniger für die Corona-Pandemie interessiert hat – positiv angemerkt werden, dass der SDP offenbar doch bewusst ist, dass gerade eine Pandemie in Deutschland wütet. Ob das Auslaufen der epidemischen Lage nationaler Tragweite gerade jetzt, in Zeiten wo die Intensivstationen voller laufen denn je, eine richtige Entscheidung ist, wird sich zeigen. Alternative Lösungsansätze zur Pandemiebewältigung liefern die Koalitionäre jedoch kaum. Ideen zur effektiven und akuten Problemlösung scheinen nur unzureichend vorhanden zu sein.


Schließlich einigten sich die Parteien am späten gestrigen Abend noch auf den letzten Punkt des Koalitionsvertrages: die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes. Trotz aller Gegenwehr der Allianz soll das Gesetz die Vereinfachung der Verfahren zur Änderung von Geschlecht und Vornamen für transidente Personen erleichtern. Für erwachsene Personen soll die Pflicht zur Vorlage eines psychischen Gutachten vollends entfallen, für minderjährige Personen soll künftig ein Großgutachten ausreichend sein. Auch hier hätte sich die SDP wohl ein vollständiges Wegfallen gewünscht, jedoch nicht durchgebracht.


Spekulationen gibt es auch über künftige Ministerien und ihre Besetzung. So wird die Allianz wohl das Finanzministerium besetzen. Als Kandidat hierfür wird der Parteivorsitzende Davis gehandelt. Weiter soll die Allianz den Bundesminister im Wirtschaftsministerium stellen, an welches noch dazu die Fachbereiche Digitalisierung und Energie angehängt werden und somit eine Art Superministerium entstehen soll. Für dieses Amt wird Allianz-Vize-Chef Friedrich Augstein gehandelt. Die Sozialdemokraten sollen demnach das Innenministerium behalten. Ob der bisherige Bundesinnenminister Lando Miller dieses Amt behalten darf, ist fraglich. Er konnte nicht gerade durch Fachkompetenz glänzen, vor allem, als er scheinbar glaubte er habe die Kompetenz einen durch die bayerische Innenministerin Hirsch veröffentlichten Erlass für ungültig erklären zu können. Weiter darf die SDP sehr überraschend auch den Bundesminister des Auswärtigen stellen, was ansonsten traditionell Privileg des Juniorpartners im Bund ist. Als mögliche Kandidaten hierfür gelten Vize-Chef Mijat Russ und Newcomerin Sophie Kipptum. Auch das Bildungs- und Forschungsministerium soll wieder in SDP-Hand bleiben. Wahrscheinlichste Kandidatin für dieses Amt ist die NRW-Bildungsministerin Sylvie Jachère-Wessler. Für weitere Ministerposten in der SDP werden Ricarda Fährmann und Egon Schumacher gehandelt, während auf Seiten der Allianz etwa Maximilian von Gröhn und Marko Kassab zur Verfügung stünden.


Das große Warten hat also bald ein Ende. Schon am Donnerstag könnte der Koalitionsvertrag öffentlich gemacht werden und der Kanzlervorschlag des Bundespräsidenten erfolgen. Bei beiden künftigen Koalitionsparteien ist die Unsicherheit jedoch groß, ob die Basis das Koalitionspapier tatsächlich tolerieren wird, da auf beiden Seiten große Zugeständnisse gemacht werden mussten. Die Parteibasen werden nun entscheiden, ob die Verhandler eine für die Partei hinnehmbare Grenze überschritten haben oder ob drohende Stimmverluste bei Neuwahlen in der Abwägung schwerer wiegen als die Tolerierung eines Bündnisses der beiden Parteien, welches wahrlich nicht auf gegenseitiger Liebe beruht, sondern so oder so nur als Zweckbündnis anzusehen ist. Entsprechend instabil könnte das Verhältnis der Koalitionäre auch innerhalb einer Regierung sein. Bei kritischen Entscheidungen zu strittigen Themen wird sich zeigen, ob der Zusammenhalt groß genug ist, um eine stabile Bundesregierung zu bilden. Daran zweifeln, darf man allemal…



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