Leitsätze
zum Beschluss des Dritten Senates der Ersten Kammer des Obersten Gerichtes vom 10. Juli 2022
- 3 BvD 1/21 -
- 3 BvD 2/21 -
(Anklage der Bundespräsidentin)
1. Artikel
61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG ist im Lichte des Artikels 20 II GG auszulegen.
a)
Mit Blick auf dem Umstand, dass eine Verurteilung in einem Verfahren
im Zuge einer Anklage der Bundespräsidentin oder des
Bundespräsidenten die Möglichkeit eröffnet, mit einer
Amtsenthebung in die Kompetenz der Bundesversammlung, das
Staatsoberhaupt für die folgende Amtszeit zu bestimmen, gravierend
eingreift, ist grundsätzlich ein strengerer Maßstab an die
Begründetheit anzulegen.
b)
Dieser Maßstab umfasst die Delikte, die taugliche Grundlage
für eine Verurteilung darstellen können, sowie den für eine Verurteilung notwendigen Vorsatz. Taugliche Rechtsverletzungen vermögen nur solche zu sein, die von
erheblichem öffentlichen Wirkungsgrade sind und etwa das Vertrauen in
staatliche Institutionen tangieren oder das Funktionieren des
demokratischen Systems oder den Bestand der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu beeinträchtigen drohen.
2.
Das Oberste Gericht kann die Antragsgegnerin in einem Verfahren auf
Grundlage von Artikel 61 GG nicht mehr für des Amtes verlustig
erklären, wenn das Amtsverhältnis des Staatsoberhauptes bereits
durch andere Umstände vor der Entscheidungsfindung seine Beendigung
gefunden hat.
a)
Es wird zwar dem Obersten Gericht durch Artikel 61 II Satz 1 GG
ausdrücklich ermöglicht, die Antragsgegnerin in einem solchen
Verfahren für des Amtes verlustig zu erklären.
b)
Jedoch wird eine solche Feststellung nach Artikel 61 II Satz 1 GG
durch Beendigung des Amtsverhältnisses der Antragsgegnerin durch
andere Umstände vorweggenommen. Das Oberste Gericht kann somit die
durch eine der beiden beziehungsweise durch beide gesetzgebenden
Körperschaften begehrte Rechtsfolge nicht mehr erwirken; vielmehr
findet ein einschlägiger Antrag durch diesen Umstand seine
Erledigung.
OBERSTES GERICHT
- 3 BvD 1/21 -
- 3 BvD 2/21 -
Verkündet
am 10. Juli 2022
Christ-Mazur
Berichterstatterin
als Präsidentin
des Gerichtes
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Anträge:
1. a) festzustellen, dass die
Antragsgegnerin durch ihre Nichternennung des vom Antragsteller
gewählten Bundeskanzlers vorsätzlich gegen Artikel 63 IV Satz 2 GG
und durch die von ihr vorgenommenen Auflösung des Bundestages
vorsätzlich gegen Artikel 63 IV Satz 3 in Verbindung mit Artikel 39
I GG verstoßen hat;
b) die Antragsgegnerin ihres Amtes für
verlustig zu erklären;
Antragstellerin:
Deutscher Bundestag, Platz
der Republik 1, 11011 Berlin, gesetzlich vertreten durch den
Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Dr. Matthias Linner
MdB, Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
-
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt
Prof. Dr. Joachim Holler, Fouquestraße 5, 81242 München,
c/o
Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
Antragsgegnerin: Frau
Bundespräsidentin Isabelle Yersin, Bundespräsidialamt, Spreeweg 1,
10557 Berlin,
-
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. Konrad
Wolff
- 3 BvD 1/21 -,
2. a)
festzustellen, dass die Antragsgegnerin
aa)
durch ihre Nichternennung des vom Deutschen Bundestages gewählten
Bundeskanzlers vorsätzlich gegen Artikel 63 IV Satz 2 GG verstoßen
hat;
bb)
durch die von ihr vorgenommenen Auflösung des Bundestages
vorsätzlich gegen Artikel 63 IV Satz 3 in Verbindung mit Artikel
20 I GG verstoßen hat;
cc)
durch ihre Festlegung des Wahltermins der Neuwahl des Bundestages
auf den 25. März 2021 vorsätzlich gegen Artikel 39 I Satz 3 GG
verstoßen hat;
b)
die Antragsgegnerin ihres Amtes für verlustig zu erklären;
Antragstellerin:
Bundesrat,
Leipziger Straße 3 - 4, 11017 Berlin, gesetzlich vertreten durch den
Präsidenten des Bundesrates, Herrn Sebastian Fürst MdBR, Leipziger
Straße 3-4, 11017 Berlin,
-
Verfahrensbevollmächtigter:
Prof.
Dr. Joachim Holler, Fouquestraße 5, 81242 München,
c/o
Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
Antragsgegnerin: Frau
Bundespräsidentin Isabelle Yersin, Bundespräsidialamt, Spreeweg 1,
10557 Berlin,
-
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. Konrad
Wolff
- 3 BvD 2/21 -,
hat der Dritte Senat der Ersten Kammer des Obersten Gerichtes unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsidentin Christ-Mazur,
Vizepräsident Neuheimer,
Thälmann,
Siebert
am 10. Juli 2022 beschlossen:
1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Anträge werden als unzulässig abgelehnt.
Gründe:
A.
I.
1. Am 06. März 2021 wurde
das Ergebnis des dritten Wahlganges der Wahl zum Bundeskanzler der
Bundesrepublik Deutschland durch den damaligen
Bundestagspräsidenten, Herrn Jan Friedländer, festgestellt. Herrn
Tom Schneider wurde dabei bescheinigt, die absolute Mehrheit der
Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages erhalten zu haben.
Tags darauf setzte die damalige Bundespräsidentin und die
Antragsgegnerin, Isabelle Yersin, die Öffentlichkeit darüber in
Kenntnis, Herrn Tom Schneider nicht zum Bundeskanzler der
Bundesrepublik Deutschland zu ernennen, da es Unstimmigkeiten bei
dem dritten Wahlgang gegeben habe. Herr Tom Schneider habe die
absolute Mehrheit nicht erreicht, weswegen sie das Recht in Anspruch
nehme, Herrn Tom Schneider nicht zu ernennen und den fünften Deutschen
Bundestag aufzulösen. Die Antragsgegnerin setzte den Deutschen
Bundestag hierüber am 07. März 2021 in Kenntnis; den Termin zur
Neuwahl setzte sie am 08. März 2021 für den 25. März 2021 fest.
2. a) Die Antragstellerinnen rügen dabei die Nichternennung des Herrn
Tom Schneider zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sowie die Anordnung über die Auflösung des fünften Deutschen Bundestages und die Festsetzung eines Termins zur
Neuwahl des Deutschen Bundestages durch die Antragsgegnerin und begehren, durch das Gericht feststellen zu lassen, dass die Antragsgegnerin durch die Nichternennung des Herrn Tom Schneider zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gegen Artikel 63 IV Satz 2 GG, durch die Auflösung des fünften Deutschen Bundestages gegen Artikel 63 IV Satz 3 in Verbindung mit Artikel 20 I GG und durch die Festsetzung eines Termines für eine Neuwahl des Deutschen Bundestages gegen Artikel 39 I Satz 3 GG verstoßen hat und dass diese alle Verstöße vorsätzlich begangen hat.
b) Ferner begehren die Antragstellerinnen in Folge der Feststellung vorsätzlicher Verletzungen gegen Verfassungsrecht die Feststellung, dass die Antragsgegnerin ihres Amtes verlustig ist.
II.
1.
Die Antragsgegnerin hat es unterlassen, Herrn Tom Schneider zum
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu ernennen,
nachdem Bundestagspräsident Jan Friedländer das Erreichen der
absoluten Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages
festgestellt hat.
a)
Am Morgen des 06. März 2022 stellt Bundestagspräsident Jan
Friedländer fest, dass Herr Tom Schneider vor Ende des Wahlganges
die absolute Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen
Bundestages erreicht habe:
„Geschätzte
Kolleginnen und Kollegen, ich
stelle fest, die notwendige Mehrheit konnte vorzeitig erreicht
werden. Der Kandidat
Tom
Schneider kann
zum aktuellen Zeitpunkt bereits 8 Stimmen auf sich vereinen. Herzlichen
Glückwunsch zur Wahl und alles Gute für Ihre Regierung.“
b) Kurz
darauf nahm Herr Tom Schneider auf Nachfrage des
Bundestagspräsidenten die Wahl an:
Jan
Friedländer: „Abgeordneter Schneider, ich frage Sie, nehmen Sie
die Wahl an?“
Tom
Schneider: „Vielen Dank, Herr Bundestagspräsident, ich nehme die
Wahl an.“
Am
Morgen des 07. März 2022 stellte Bundestagspräsident Jan
Friedländer das nachfolgende Endergebnis des dritten Wahlganges der
Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland fest:
„Ich
möchte noch das Endergebnis feststellen:
Tom
Schneider: 9 Stimmen
Gerald
Möller. 4 Stimmen
Christian
von Wildungen: 1 Stimme
Enthaltungen:
keine
Damit
ist der Wahlgang beendet.“
c)
Am Abend des 07. März 2022 gab die Antragsgegnerin bekannt, Herrn
Tom Schneider nicht zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland
zu ernennen und begründete diesen Schritt wie folgt:
„Sehr
geehrte Damen und Herren, geschätzte Bürgerinnen und Bürger, [i]ch
darf Sie recht herzlich zur Pressekonferenz betreffend dem Ausgang
der Kanzlerwahl begrüßen. Wie Sie sicherlich bemerkt haben, wurde
der designierte Kanzler - ich muss das hier betonen - und seine mir
vorgeschlagene Regierung bisher nicht ernannt. Dies
mag Sie verwundern - kann ich nachvollziehen. Das Bundespräsidialamt
ist der Ansicht, dass es bei der im Bundestag stattgefundenen Wahl
zum Kanzler zu Unstimmigkeiten während des Wahlvorganges gekommen
sein muss. In Absprache mit unseren Juristen erkennen wir ein
eindeutiges Potential und analog dazu auch die Pflicht einen
Organstreit gegen die Kanzlerwahl anzustreben. Bis zur Klärung des
Sachverhaltes sehe ich mich in der Pflicht, die Ernennung des
"designierten" Kanzlers Schneider und dessen Regierung zu
unterlassen. Bis zur Klärung der juristischen Unstimmigkeiten bleibt
die geschäftsführende Regierung weiterhin mit der Aufgabe, die
Regierung geschäftsführend zu führen, betraut. Mir ist bewusst,
dass diese wahrlich harsche Handlung bei einigen Leuten, speziell des
Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen Partei, zu emotionalen
Verstimmungen führen wird. Dies ändert allerdings nichts an der
Notwendigkeit dieser Amtshandlung. Kommt eine Person scheinbar
unrechtmäßig in ein Staatstragendes Amt, ist dieser Umstand mit
meiner Kontrollfunktion nicht zu vereinbaren. Für
Nachfragen stehen wir ab sofort bereit. Ich bitte dennoch dahingehend
um Verständnis, dass ich mich während eines laufenden Verfahrens
(Die entsprechenden Schritte werden zeitnah in die Wege geleitet) zu
den juristischen Feinheiten nicht äußern werde. Vielen
Dank.“
2.
Am Abend des 07. März 2021 verfügte die Antragsgegnerin die
Auflösung des Deutschen Bundestages.
a) Diese begründete diesen Schritt
wie folgt:
„Sehr
geehrter Herr Bundestagspräsident, nach
intensiver und sorgfältiger Prüfung bin ich zu dem Ergebnis
gekommen, dass die beendete Kanzlerwahl im dritten Wahlgang nicht mit
einer absoluten Mehrheit zugunsten von Herrn Vizekanzler Schneider
abgeschlossen wurde. In Ausübung der mir nach Art. 63 Abs. 4 GG
zustehenden Rechte setze ich Sie daher über die Auflösung des
Deutschen Bundestages in Kenntnis. Der Wahltermin wird unverzüglich
bekanntgegeben.“
b) Bundestagspräsident Jan
Friedländer forderte die Antragsgegnerin daraufhin auf, die
Ernennung vorzunehmen. Es handele sich bei ihrem Handeln um einen
unzulässigen Eingriff in die Angelegenheiten des Deutschen
Bundestages:
„Frau
Bundespräsidentin, die
Prüfung der Wahlgänge und deren Ergebnisfeststellung innerhalb des
Bundestags sind Aufgabe und Kompetenzbereich des
Bundestagspräsidenten. Ich weise Ihre Einmischung in die internen
Angelegenheiten des Bundestags respektvoll aber entschieden zurück.
Ich habe Sie über die erfolgreiche Wahl des Abgeordneten Schneider
informiert und in diesem Sinne haben Sie zu handeln. [...]"
c) Am
08. März 2021 setzte die Antragsgegnerin den Wahltermin auf den 25.
März 2021 fest:
„Der Wahltermin wird zum 25.03.2021 angesetzt.“
III.
1. Die Antragstellerinnen halten die Anträge für zulässig und begründet.
2. Die Antragsgegnerin hält die Anträge jedenfalls für unbegründet.
a) Nach Auffassung der Antragsgegnerin habe Herr Tom Schneider die absolute Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages nicht erreicht. Es habe Unstimmigkeiten bei dem streitigen Wahlgang gegeben. Somit sei es mit dem Grundgesetz nach Artikel 63 IV Satz 3 GG vereinbar gewesen, Herrn Tom Schneider nicht zum Bundeskanzler der Bundesrepublik zu ernennen und den Deutschen Bundestag dementsprechend aufzulösen.
b) Dementsprechend fehle es an der - für Erfolg der Anträge nach Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG notwendigen - Verletzung von Verfassungsrecht, womit die Anträge jedenfalls unbegründet seien.
IV.
Anträge der Antragstellerin, im Wege der einstweiligen Anordnung zu verfügen, dass die Antragsgegnerin nach Artikel 61 II Satz 2 GG an der Ausübung ihres Amtes verhindert ist, wurden durch das Gericht wegen Erledigung (siehe analog B.-IV.) abgelehnt.
V.
Wegen näherer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
B.
Die Anträge sind unzulässig.
I.
1. a) Aus
Artikel 61 I GG werden bereits einige konkrete Aussagen hinsichtlich
der Verfahrensvorschriften ersichtlich. Antragsberechtigt sind nach
Artikel 61 I Satz 1 GG die gesetzgebenden Körperschaften des
Bundes, namentlich Bundestag und Bundesrat. So muss der Antrag auf
Erhebung der Anklage von wenigstens einem Viertel der Mitglieder des
Deutschen Bundestages oder von Bundesländern, die wenigstens ein
Viertel der Gesamtzahl der Stimmen des Bundesrates ausmachen,
gestellt werden (vgl. Artikel 61 I Satz 2 GG). Die Erhebung der
Anklage muss im Wege der Beschlussfassung von wenigstens zwei
Dritteln der Mitglieder des Bundestages oder der Stimmen des
Bundesrates gebilligt werden (vgl. Artikel 61 I Satz 3 GG); ferner
ist eine beauftragte Person nach Artikel 61 I Satz 4 GG zu benennen.
b) Die
Zuständigkeit für Verfahren auf Grundlage von Artikel 61 GG, die
die Anklage des Staatsoberhauptes der Bundesrepublik Deutschland
durch eine der beiden oder beide gesetzgebenden Körperschaften zum
Gegenstand hat, liegt nach § 20 II vDGB, Artikel 61 GG, Artikel 93
I Nr. 5 GG und § 6 I Nr. 4 OGG bei der Ersten Kammer des Obersten
Gerichtes.
c) Verfahrensgegenstand kann nach Artikel 61 I Satz 1 und Artikel 61 II
Satz 1 im Hauptsacheverfahren nur die Anklage gegen das
Staatsoberhaupt aufgrund einer behaupteten vorsätzlichen Verletzung
des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland oder eines
anderweitigen Bundesgesetzes durch eine der beiden gesetzgebenden
Körperschaften und der Antrag dieser, das Staatsoberhaupt für des
Amtes verlustig zu erklären, sein. Anderweitige
Verfahrensgegenstände, etwa Verstöße gegen Länderrecht, scheiden
aus.
d) Das Gesetz über das Oberste Gericht (OGG) tätigt einige nähere
Angaben über die Vorschriften zur Antragsschrift. Abseits von den Begründungsvoraussetzungen gilt, dass grundsätzlich die Anklage gegen das Staatsoberhaupt der
Bundesrepublik Deutschland nach § 25 I, II OGG durch Einreichung
einer Anklageschrift beim Obersten Gericht und durch Ausfertigung des
vorsitzenden Mitgliedes jener gesetzgebenden Körperschaften und
Übersendung zum Obersten Gericht binnen einer Woche erhoben wird. Dabei
ist eine Dreimonatsfrist zur Erhebung der Anklage nach Bekanntwerden
des zugrundeliegenden Sachverhaltes zu wahren (vgl. § 25 IV OGG).
Die Feststellung, dass die Erhebung der Anklage durch eines der
beiden Legislativorgane durch zwei Drittel ihrer Stimmen gebilligt
worden ist, ist nach § 25 III Satz 2 OGG beizufügen.
2. Die Antragstellerinnen sind als Legislativorgane des Bundes beide antragsberechtigt; der Anklageerhebung wurde ordnungsgemäß von jeweils zwei Dritteln der Gesamtstimmenzahl der beiden Legislativorgane zugestimmt. Ferner wurden beide Anklageschriften ordnungsgemäß durch die zum Zeitpunkt der Anklageerhebung dem jeweiligen Legislativorgan vorsitzende Person ausgefertigt. Das Bundespräsidentenanklageverfahren ist statthafte Verfahrensart; ferner ist die Erste Kammer des Obersten Gerichtes nach § 20 II vDGB, Artikel 61 GG, Artikel 93 I Nr. 5 GG und § 6 I Nr. 4 OGG zuständig. Die Schriftform sowie das Fristerfordernis wurden offenkundig gewahrt.
II.
Für die Fortführung des Verfahrens an sich ist auch nicht schädlich, dass die Antragsgegnerin bereits mit Wirkung vom 08. April 2021 aus dem Amt geschieden ist (vgl. OGE 3, 42 <46f.>). Das Gesetz über das Oberste Gericht schließt eine solche Auslegung im Sinne der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung bei Vorliegen von Gesetzeslücken nicht aus. Ein Analogie-Verbot, das sich aus dieser oder einer anderen Norm ergibt, liegt nicht vor. Ferner fehlt es schon an normativen Grundlagen zur Beendigung des Verfahrens (2.). Das Verfahren ist somit bis zum Abschluss fortzuführen gewesen.
1. Möglicher Anlass für einen solchen Analogieschluss ist planwidrige Unvollständigkeit (vgl. BVerfGE 115, 51, Rn. 56; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 194 ff.; Canaris, Festschrift für Bydlinski, 2002, S. 47, 82 ff.). Eine solche planwidrige Unvollständigkeit liegt vor, sofern ein bestimmter, tatsächlich eingetretener Tatbestand nicht durch den Gesetzgeber geregelt wurde, weil er nicht bedacht wurde, aber geregelt worden wäre, sofern der Gesetzgeber die Möglichkeit eines solchen Tatbestands bedacht hätte.
a) Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Entscheidung im Sinne der Gewaltenteilung (vgl. Artikel 20 II Satz 2 GG) respektieren und den Willen des Gesetzgebers auch unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Dabei ist den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen (vgl. BVerfGE 84, 212 <226>; 96, 375 <395>). Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfGE 118, 212 <243>).
b) Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz wurde mit Gesetz vom 01. Oktober 2020 (BGBl. I S. 01) und das Oberste-Gericht-Gesetz wurde mit Gesetz vom 23. Januar 2021 (BGBl. I S. 08) neugefasst. Beide Neufassungen hatten zum Zwecke, die Vorschriften über die Verbindlichkeiten der Judikative, des Obersten Gerichts insgesamt, an die Realität im Rahmen der Simulation "vBundesrepublik" insgesamt anzupassen. Es ergibt sich aus Sicht des Gerichts nicht, dass die Regelungen des § 51 BVerfGG a. F. durch den Gesetzgeber willentlich abgeschafft wurde. Vielmehr ergibt sich aus Sicht des Gerichts, dass die Übernahme des § 51 BVerfGG a. F. bei beiden Neuregelungen nicht bedacht wurde. Das Gericht wird in dieser Ansicht dadurch bestärkt, dass sich in § 25 OGG oder einer anderen Norm keine Regelung für das Verfahren bei Beendigung des Amtsverhältnisses außerhalb einer Amtsenthebung finden lässt.
c) Vergleichbarkeit der Interessenlage ist vorneherein anzunehmen, da der Tatbestand des § 51 BVerfGG a. F. sich auf die gleiche Verfahrensart bezogen hat.
d) Nach diesen Maßstäben ist der Analogieschluss zulässig. Der Fortführung des Verfahrens steht nicht dementsprechend nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin bereits am 08. April 2021 aus dem Amt geschieden ist.
2. Ansonsten fehlen schon normative Grundlagen, etwa im Gesetz über das Oberste Gericht, zur Beendigung des Verfahrens auf Grund des Umstands, dass das Amtsverhältnis der Antragsgegnerin als Bundespräsidentin seine Erledigung gefunden hat.
III.
Die Anträge werden - nach erneuter eingehender Prüfung des Obersten Gerichtes zur Zulässigkeit - verworfen, weil die Antragstellerinnen nicht antragsbefugt sind. Die Antragstellerinnen haben nicht substantiiert dargelegt, dass eine vorsätzliche Verletzung von Bundes- oder - wie in diesem Falle behauptet - Verfassungsrecht durch die Antragsgegnerin vorliegend sein könnte und somit im Raum steht.
1. a) Grundsätzlich
sind die Begründungserfordernisse zu wahren. Hierbei liegt die Begründungs- und Beweislast nach §§ 14 I Satz 2,
25 III Satz 1 OGG grundsätzlich bei der Anklage. Die
Begründung der Anklage soll dem Obersten Gericht eine zuverlässige
Grundlage für die weitere Behandlung des Verfahrens verschaffen
(vgl. BVerfGE 15, 288 <292> analog). Hierfür müssen innerhalb
der Anklagefrist das angeblich vorsätzlich verletzte Recht
bezeichnet und der seine vorsätzliche Verletzung enthaltende Vorgang
substantiiert dargelegt werden (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>; 99,
84 <87> analog; stRspr.). Dabei ist auf alle nach Artikel 61 II
Satz 1 Halbsatz 1 GG für eine Verurteilung erforderlichen
Tatbestandsmerkmale substantiiert abzustellen. Erst, wenn die Anklage
den verfahrensgegenständlichen Vorgang und alle anklageerheblichen Tatbestandsmerkmale - auch den
behaupteten Vorsatz - so schlüssig darlegt, dass eine vorsätzliche
Verletzung von Verfassungs- oder Bundesrecht möglich erscheint (Möglichkeitstheorie), ist
Antragsbefugnis gegeben. Für eine Aufweichung dieses – sich in
verschiedenen Verfahrensarten in der ständigen Rechtsprechung
durchgesetzt habenden – Erfordernisses ist kein Raum. Jedenfalls
ist kein substanzieller Grund für eine Aufweichung dieses
Erfordernisses – schon gar nicht mit Blick auf den schwerwiegenden
Eingriff in das Recht der Bundesversammlung, den Bundespräsidenten
für die nächste Amtszeit zu bestimmen, der nur ausnahmsweise,
sofern die Umstände es erfordern, zulässig ist, den ein für
die Anklage positiver Bescheid des Obersten Gerichtes eröffnet –
ersichtlich.
b) Vorsatz ist nach Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG eine Tatbestandsvoraussetzung, die gegeben sein muss, um eine Verurteilung in Verfahren über die Anklage des Staatsoberhauptes zu rechtfertigen. Unter Vorsatz ist zunächst grundsätzlich der Wille zur Verwirklichung eines
Tatbestandes in Kenntnis aller objektiven Tatumstände einschließlich
der Kausalitätsbeziehungen zu verstehen. Inhaltlich verkürzt kann von Wissen
(kognitives Element) und Wollen (voluntatives Element) einer
Tatbestandsverwirklichung die Rede sein (vgl. BGHSt 19, 295 <298>; stRspr.). Beides vermag in verschiedenen Relationen zueinander und in verschiedenen Eigenausprägungen aufzutreten. So kennt der dolus-Begriff (Vorsatzbegriff) die Unterteilung in dolus directus ersten Grades, dolus directus zweiten Grades und dolus eventualis (bedingter Vorsatz). Die schwächste Ausprägungsform ist der dolus eventualis - bedingter Vorsatz, der zunächst vom Grundsatz her ausreichend ist, um Vorsatz für eine Tat begründen zu können (vgl. Krey/Esser, AT, Rn. 386., Satzger/Schmitt/Widmaier/Momsen, §§ 15, 16, Rn. 44.; S. auch Heinrich, AT, Rn. 285.). Nach herrschender Auffassung ist dolus eventualis gegeben, wenn sich eine Täterin oder ein Täter den Taterfolg des eigenen Handelns für ernstmöglich hält und ihn billigend, also sich mit dem Erfolg abfindend, in Kauf nimmt (vgl. insoweit BGH, NStZ 2013, S. 91; BGH, Urteil vom 18. Juni 2020 - 4 StR 482/19, Rn. 22, NJW 2020, S. 2900). Unabhängig von der Frage der Ausprägung des Vorsatzes ist in der ständigen Rechtsprechung anerkannt, dass es, um Vorsatz für eine Tat begründen zu können, jeden Falles eines kognitiven Elementes (Wissen) und eines voluntativen Elementes (Wollen) bedarf (vgl. stRspr.).
2. a) Den Begründungsanforderungen (1. a)) genügen die Anträge nicht. Die Antragstellerinnen setzen lediglich das voluntative Element des dolus als gegeben voraus, ohne im Ansatz zu begründen, warum dieses voluntative Element als gegeben anzusehen ist. Dem Sachvortrag der Antragstellerinnen kann jedenfalls nicht entnommen werden, dass tatsächlich eine vorsätzliche Rechtsverletzung im Raum steht; aus den Darstellungen der Antragstellerinnen ergibt sich nicht mit Blick auf die Begründungs- und Beweislast aus §§ 14 I Satz 2, 25 III Satz 1 OGG anhand substantiierter Ausführungen, dass Vorsätzlichkeit vorliegt.
b) Mit Blick auf den Umstand, dass der bedingte Vorsatz - dolus eventualis genannt - als in der Regel ausreichend erachtet wird, um Vorsätzlichkeit für eine Tat begründen zu können (vgl. Krey/Esser, AT, Rn. 386., Satzger/Schmitt/Widmaier/Momsen, §§ 15, 16, Rn. 44.; S. auch Heinrich, AT, Rn. 285.), erscheint es wenigstens notwendig, das Vorliegen eines solchen bedingten Vorsatzes in substantiiert-plausibler Art und Weise darzulegen, um eine Antragsbefugnis begründen zu können. Jeden Falles fehlt es an einer solchen Darstellung.
3. Schon auf Grund der Begründungsmängel sind alle Anträge als unzulässig anzusehen und dementsprechend zu abzulehnen.
IV.
Mithin sind die Anträge zu 1. b) und 2. b) aus anderweitigem Grunde, nämlich auf Grund von Erledigung, unzulässig. Das Oberste Gericht kann die Antragsgegnerin in einem Bundespräsident*innenanklageverfahren logischerweise nicht mehr für des Amtes verlustig erklären, wenn diese bereits aus anderweitigem Grunde aus dem Amt geschieden ist.
Zwar statuiert Artikel 61 II Satz 1 GG grundsätzlich die
Möglichkeit, die Antragsgegnerin im Rahmen der vorliegenden
Verfahrensart für des Amtes verlustig zu erklären, solange dem
bestimmte Umstände effektiv nicht vorweggreifen. Das Oberste
Gericht kann die Antragsgegnerin im vorliegenden Falle nicht für
des Amtes verlustig erklären. Ihr Amtsverhältnis als
Bundespräsidentin der Bundesrepublik Deutschland fand am 08. April
2021 bereits seine Beendigung. Damit kann Oberste Gericht die durch
die Antragstellerinnen begehrte Rechtsfolge nicht mehr bewirken, da
es logischerweise mit der Beendigung des Amtsverhältnisses nicht
mehr verfügen kann, dass die Antragsgegnerin ihres Amtes verlustig
ist (vgl. etwa OGE 3, 43 <48>), wurde das Erwirken der
begehrten Rechtsfolge doch bereits durch anderweitige Umstände
vorweg genommen. Die Anträge zu 1. b) und 2. b) haben somit - unabhängig von dem Ausgang der Entscheidung zu den Anträgen zu 1. a) und 2. a) ihre
Erledigung gefunden.
C.
Obiter dictum ist das Nachfolgende anzumerken:
Damit
ein Antrag im Zuge eines Verfahrens nach Artikel 61 GG begründet
ist, muss einerseits eine Verletzung der Antragsgegnerin gegen das
Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht, andererseits der Vorsatz zur
Rechtsverletzung vorliegen. Jedoch ist nicht jedwede Rechtsverletzung
geeignet, eine Verurteilung zu rechtfertigen. Für die Beurteilung, welche Rechtsverletzungen in
Betracht kommen, taugliche Grundlage für eine Verurteilung
darzustellen, ist grundsätzlich ein besonders strenger Maßstab
anzulegen (2.) Das Grundgesetz ist vorliegend im Lichte des Artikel
20 II GG auszulegen.
1.
Zunächst muss für eine Verurteilung überhaupt eine Verletzung des
Grundgesetzes oder von Bundesrecht im Raume stehen; anderenfalls
kommt ein Schuldspruch grundsätzlich nicht in Betracht. Solcherlei
Rechtsverletzungen müssen nicht zwangsläufig mit dem Amt der
Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten verbunden sein. Dass
eine solche Rechtsverletzung nicht mit dem Amt der Bundespräsidentin
oder des Bundespräsidenten in Verbindung steht, ist für die
Möglichkeit einer Verurteilung unschädlich. Jedoch kommt hiermit
nicht jedwede Rechtsverletzung als taugliche Grundlage für eine
Verurteilung in Betracht (2.).
2. An
die Begründetheitsvoraussetzungen aus Artikel 61 II Satz 1 GG in
Verfahren nach Artikel 61 GG ist grundsätzlich ein besonders
strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt insbesondere für die Arten von
Rechtsverletzungen, die eine taugliche Grundlage für eine Verurteilung
darzustellen vermögen. Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG ist im
Lichte des Artikels 20 II GG auszulegen.
a)
Dass strengere Maßstäbe von Nöten sind, ist mit der
Eröffnung möglicher Rechtsfolgen und dem gravierenden Eingriff in
die Kompetenzen der Bundesversammlung als nichtständiges
Verfassungsorgan zu begründen. Nach Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 2
GG wird durch eine Verurteilung die Möglichkeit der Rechtsfolge
einer Amtsenthebung der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten
als Antragsgegnerin beziehungsweise Antragsgegner eröffnet.
aa)
Der Grundgesetzgeber hat in Artikel 20 II GG den Grundsatz der
organisatorischen und funktionellen Unterscheidung sowie die Trennung
der rechtsprechenden, der ausführenden und der legislativen Gewalt
normiert.
(1) Dieser
Grundsatz ist vor allem als Verteilung von Kompetenzen und Macht zu
verstehen, da die Staatsgewalt als solche nicht geteilt wird. Sie
dient der Verteilung von politischer Macht und Verantwortung sowie
der Kontrolle der Machtträger; sie zielt auch darauf ab, dass
staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den
Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation,
Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten
Voraussetzungen verfügen, und sie will auf eine Mäßigung der
Staatsgewalt insgesamt hinwirken (vgl. BVerfGE 68, 1 <87 ff.>;
OG, Beschluss des Dritten Senats vom 30. Mai 2022 – 3 BvE 1/21;
Ernst-Wolfgang Böckenförde: Demokratie als Verfassungsprinzip, in:
Josef Isensee, Paul Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II,
2004, § 24 Rn 87; Friedrich E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig GG,
Art. 20, Rn 41; Klaus Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik
Deutschland, Bd. II, 1980, S. 533; m. w. N.). Der Bedeutung jenes
unveränderlichen Grundsatzes verleiht der Grundgesetzgeber durch
Einbezug in die in Artikel 79 III GG normierte Ewigkeitsklausel
Ausdruck. Diese Ausgestaltung der Gewaltenteilung als
Kompetenzverteilung ist auch vor dem in Artikel 20 I GG normierten
Demokratieprinzip unabdingbar:
(2) Durch
die Funktion der Mäßigung der Staatsgewalt und der strengen
Kompetenzverteilung soll dem Schutz der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung Rechnung getragen werden. Ziel dieser Norm ist es, zu
verhindern, dass zu viel Macht auf einen geringen Kreis an
Kompetenzträgern konzentriert wird. Die Konzeption der Verfassung
liegt der Idee eines 'Nie Wieder' nach der Schreckensherrschaft des
Nationalsozialismus' zu Grunde. Idee war und ist es, Einfluss zu
verteilen und so Willkür zu verhindern sowie konsequenten Schutz
der Grundrechte und der Idee eines demokratischen Rechtsstaates zu
gewährleisten.
(3)
Vor diesem Hintergrund ist ein Eingriff in diese Kompetenzabgrenzung
nur ausnahmsweise zulässig. Solche Ausnahmen sind bei Vorliegen
wichtiger Gründe gegeben – etwa zur Sicherung von Recht oder zur
Verhinderung von Gewalt.
bb)
Eine Verurteilung der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten
in einem Verfahren nach Artikel 61 GG stellt in Anbetracht dessen,
dass hiermit normalerweise die Möglichkeit der Rechtsfolge einer
Amtsenthebung aus Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 2 GG eröffnet wird,
die Eröffnung der Möglichkeit eines schwerwiegenden Eingriffes in
die Kompetenzen anderer Bundesorgane, namentlich die der
Bundesversammlung, dar. Nach Artikel 54 I Satz 1 GG wird die
Bundespräsidentin oder der Bundespräsident durch Wahl durch die
Bundesversammlung, ein nichtständiges Verfassungsorgan, bestimmt.
Eine Amtsenthebung würde die Entscheidung der Bundesversammlung,
welche Person das Amt des Staatsoberhauptes der Bundesrepublik
Deutschland in der darauffolgenden Amtszeit ausüben soll, in
drastischem Maße tangieren und ist somit als gravierender Eingriff
in die Kompetenzen der Bundesversammlung zu verstehen, der keineswegs
leichtfertig erfolgen darf.
b)
Würde der notwendige und erwähnte strenge Maßstab nicht angewandt,
so würde, wie ausgeführt, der Notwendigkeit des Hochhaltens der
Gewaltenteilung als ein wesentliches Prinzip des Staatsaufbaus der
Bundesrepublik Deutschland nicht Rechnung getragen.
Dementsprechend kommt nicht
jedwede Rechtsverletzung in Frage, taugliche Grundlage für eine
Verurteilung darzustellen. Zwar muss sie nicht aus dem Bekleiden des
Amtes der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten erwachsen,
jedoch muss diese von dermaßen schwerem Gewicht sein, dass diese mit
Blick auf das Vertrauen in die Demokratie, die Institutionen des
demokratischen Staates und in das Staatsoberhaupt kaum zu
vernachlässigen ist oder dass diese gravierenden Einfluss auf das
Funktionieren des demokratischen Systems und gegebenenfalls auf den
Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat. Das vermag
etwa bei der Umsetzung von Entscheidungen demokratisch legitimierter
Staatsorgane oder bei Tangieren von demokratisch legitimierten
Staatsorganen oder aber bei Straftaten gegen die körperliche
Unversehrtheit von Menschen regelmäßig der Fall zu sein.
3. Der Umstand, dass eine Amtsenthebung ausscheidet, ist in Verfahren nach Artikel 61 GG für die Möglichkeit eines Erfolges eines Antrages auf Feststellung einer vorsätzlichen Verletzung von Bundes- oder Verfassungsrecht unschädlich: Für das Gericht ist mit Blick auf den Gleichheitssatz aus Artikel 3 I GG nicht ersichtlich, weswegen auf Grund bloßer Erledigung der Möglichkeit einer Amtsenthebung durch zeitlichen Verzug andere Kriterien hinsichtlich der Bewertung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen aus Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG erfüllt sind, angewendet werden sollten, zumal es sich bei den Gründen, aus denen heraus das Gericht die Möglichkeit einer Amtsenthebung verneint, um solche handelt, die das Gericht nicht beeinflussen kann.
D.
1. Die
Verfahren 3 BvD 1/21 und 3 BvD 2/21 wurden zur gemeinsamen
Entscheidung verbunden. Sowohl Bundesrat als auch Bundesrat als
Antragstellerinnen in den beiden Verfahren verfolgen nahezu
identische Begehren gegenüber dieselbe Antragsgegnerin, sodass es
für das Gericht sinnvoll erscheint, beide Verfahren zur gemeinsamen
Entscheidung zu verbinden, während es keine Förderlichkeit darin
sieht, über nahezu die gleiche Frage in zweierlei Verfahren getrennt
zu entscheiden.
2. Auf mündliche Verhandlung wurde verzichtet, nachdem den Beteiligten eine Frist gesetzt wurde, bis zu deren Verstreichen eine solche mündliche Verhandlung eingefordert werden konnte (vgl. OG, Hinweisbeschluss vom 03. Juni 2022 - 3 BvD 1/21, 3 BvD 2/21). Hierauf wurde verzichtet.
3. Die Entscheidung erging einstimmig und ist unanfechtbar.
Christ-Mazur | Neuheimer | Thälmann | Siebert