Beiträge von Dr. Viktoria Christ-Mazur

    Herr Holler,


    zwei Fragen hierzu hätte ich noch:


    1.

    Nach dem Urteil des zweiten Senates des ehemaligen Bundesverfassungsgerichtes zum Antrag auf NPD-Verbot (vgl. BVerfGE 144, 20 <Rn. 984>) muss der bloße politische Meinungskampf bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmales "darauf Ausgehen" unberücksichtigt bleiben, soweit dadurch keine Einschränkung Dritter in der Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte besteht. Das bloße Kundtun verfassungsfeindlicher Ideen reicht eben noch nicht aus. Viele Aussagen und Forderungen wie die Forderung einer Abschaffung des Asylrechtes oder dergleichen vermögen noch nicht für eine Annahme eines "darauf Ausgehens" ausreichen.

    Sind Mitglieder Antragsgegnerin im letzten Jahr über diese Schwelle hinausgegangen? Oder wurde Gewalt angewandt?


    2.

    Könnten Sie, soweit möglich, die Aktivitäten des "Schutzbanner[s] Schwarz-Weiß-Rot" näher beschreiben?


    Vielen Dank!

    betritt zusammen mit Vizepräsident Neuheimer, der Richterin Siebert und dem Richter Thälmann den besetzten Sitzungssaal


    Sehr geehrte Damen und Herren,

    werte Anwesende,


    ich eröffne hiermit wieder die Sitzung des dritten Senates der ersten Kammer des Obersten Gerichtes in dem Verfahren 3 BvB 1 aus 2021 über die Anträge:


    1. Das Freiheitliche Forum Deutschlands ist verfassungswidrig.

    2. Das Freiheitliche Forum Deutschlands wird aufgelöst.

    3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für das Freiheitliche Forum Deutschlands schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen.

    4. Hilfsweise: Das Freiheitliche Forum Deutschlands ist von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Mit dieser Feststellung entfällt die steuerliche Begünstigung des Antragsgegners und von Zuwendungen an den Antragsgegner.


    Antragstellerin ist der Bundesrat, vertreten durch den Bundesratspräsidenten, Antragsgegnerin das Freiheitliche Forum Deutschlands (FFD), vertreten durch den Bundesvorsitzenden Dr. Christian Reichsgraf Schenk von Wildungen. Bevollmächtigt für die Antragstellerin ist Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. Joachim Holler, für die Antragsgegnerin Herr Rechtsanwalt Paul Fuhrmann.


    Das Gericht hat beschlossen, das Verfahren fortzusetzen, da der Nachweis für das Zustandekommen einer demokratisch legitimierten Auflösung des BUW nicht erbracht worden ist. Damit entfallen zunächst, sofern dieser Nachweis nicht noch erbracht wird, weitere Fragen, ob das Verfahren gegen das FFD fortzusetzen ist. (SimOff: es sei auf das bei der zweiten Kammer anhängige Regelbeschwerdeverfahren hingewiesen, das dieses Verfahren - je nach Ausgang - tangieren kann.)


    Ich würde anregen, dass wir nun direkt wieder in die Verhandlung einsteigen.


    Erstmal eine Vorbemerkung, bevor Herr Holler das Wort erhält: Die Verfassungswidrigkeit ist auch immer im Zusammenhang mit zeitlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Dem trägt auch § 33 V OGG Rechnung: so kann die Verfassungswidrigkeit im Sinne des Artikel 21 III GG für lediglich sechs Jahre festgestellt werden. Bei einer Verlängerung einer solchen Anordnung wäre dann wieder eine Neubewertung von Nöten. Für eine Feststellung auf Grundlage von Artikel 21 II GG kann auch nichts anderes gelten: entscheidend ist immer die Frage, ob der Tatbestand der Verfassungswidrigkeit momentan erfüllt wird - und nicht, ob sie früher erfüllt wurde.


    Ich richte nun Fragen an Herrn Holler (Herr Wildungen oder Herr Fuhrmann können selbstredend replizieren):


    Werter Herr Holler,


    kurz, bevor die Verhandlung vertagt wurde, wurde die Frage, ob die Antragsgegnerin das Tatbestandsmerkmal des "darauf Ausgehen[s]" erfüllt, thematisiert. Das Gericht sieht - bislang - keinen Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Charakterisiert wird das "darauf Ausgehen" im Wesentlichen


    1.

    durch ein aktives Handeln, mit dem die Schwelle zur Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung überschritten wird, gekennzeichnet wird;


    2.

    durch ein systematisch-planvolles Handeln im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung, gerichtet auf die Beeinträchtigung/Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.


    Sie hatten ja jetzt einige allgemeine Beschreibungen des Handelns des FFD vorgenommen. Könnten Sie diese Beschreibung vielleicht ein wenig konkretisieren, einige konkrete Beispiele nennen, und auf das Handeln der Antragsgegnerin in jüngerer Zeit - etwa seit dem Jahreswechsel - eingehen?


    -----------------


    Und mit Blick auf Thüringen: gibt es Beweise dafür, dass Beamte des Staates oder Soldat*innen, die - auch, wenn sie kein Mitglied der Antragsgegnerin sind/waren - mit Herrn Wildungen bzw. dem FFD sympathisiert haben, dazu bereit gewesen wären, Weisungen/Gesetze o. Ä. einer nicht demokratisch legitimierten Regierung Wildungen auszuführen und dieser Regierung reale Macht zu verschaffen?




    Leitsatz


    zum Beschluss des Dritten Senates der Ersten Kammer vom 20. Juli 2022


    - 3 BvB 1/21 -


    Zum Begriff der Partei in Beziehung zu Anträgen nach Artikel 21 II, III GG sowie an den Anforderungen zur erfolgreichen Auflösung einer politischen Partei.


    OBERSTES GERICHT

    – 3 BvB 1/21 –



    742-bverfgf-png



    Im Namen des Volkes



    In dem Verfahren

    über

    die Anträge festzustellen:



    1. Das Freiheitliche Forum Deutschlands ist verfassungswidrig.
    2. Das Freiheitliche Forum Deutschlands wird aufgelöst.
    3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für das Freiheitliche Forum Deutschlands zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen.

    4. Hilfsweise: Das Freiheitliche Forum Deutschlands ist von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Mit dieser Feststellung entfällt die steuerliche Begünstigung der Antragsgegnerin und von Zuwendungen an die Antragsgegnerin.


    Antragstellerin: Bundesrat,

    vertreten durch den Präsidenten des Bundesrates,

    Leipziger Straße 3-4, 10117 Berlin,


    - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Prof. Dr. Joachim Holler,

    Fouquestraße 5, 81241 München

    c/o Bundesrat, Leipziger Straße 3-4, 10117 Berlin,


    Antragsgegnerin: Freiheitliches Forum Deutschlands,

    vertreten durch den Bundesvorsitzenden Dr. Christian Reichsgraf Schenk von Wildungen,

    Wilhelmstraße 144d, 10117 Berlin,


    - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Paul Fuhrmann,

    99096 Erfurt,


    hat das Oberste Gericht - Dritter Senat -


    unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


    Präsidentin Christ-Mazur,


    Vizepräsident Neuheimer,


    Thälmann,


    Siebert


    am 20. Juli 2022 beschlossen:


    1. Das Verfahren ist fortzusetzen.


    2. Der Beginn der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung ist zu terminieren.


    Gründe:


    I.


    1. Im Zuge der Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde der Vorsitzende der Antragsgegnerin, Herr Christian von Wildungen, geladen. Er gab im Rahmen dieser zu Protokoll, der Bund Unabhängiger Wähler (nachfolgend: BUW) sei aufgelöst worden, womit der BUW und das Freiheitliche Forum Deutschlands (FFD) getrennt zu betrachten seien.


    2. Infolgedessen wurde die mündliche Verhandlung vertagt und das Gericht hat sich zur Beratung zurückgezogen. Es hat von Amts wegen von dem Vorsitzenden der Antragsgegnerin die Vorlage eines geeigneten Beweises über eine Abstimmung zur Auflösung des BUW gefordert (vgl. OG, Hinweisbeschluss vom 30. Juni 2022 - 3 BvB 1/21). Auf diesen hat der Vorsitzende der Antragsgegnerin nicht vermocht, zu reagieren.


    3. Mit Schriftsatz vom 01. Juli 2022 hat sich die Antragstellerin zum Sachverhalt verhalten. Die Antragstellerin hat ausgeführt, die Vorlage eines Protokolles über eine erfolgte Abstimmung zur Auflösung des BUW durch den Parteitag und die Satzung der Antragsgegnerin seien zweckdienlich und erforderlich. Ferner sei es notwendig, die Frage zu klären, ob eine Mitteilung der Bundeswahlleitung über die erfolgte Auflösung der Antragsgegnerin nach § 6 III Satz 1 Nummer 3 PartG erfolgt ist.


    4. Für Einsicht näherer Einzelheiten sei auf die Gerichtsakte verwiesen.


    II.


    Das Verfahren ist fortzusetzen, weil sich keinerlei Umstände ergeben haben, durch derer sich eine Verwerfung des Antrages auf Grund von Unzulässigkeit und damit die Behandlung der Antragsgegnerin als Verein, denn einer politischen Partei, rechtfertigen lassen würde.


    1. a) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Oberste Gericht (Art. 21 II, III GG, §§ 6 II, IIa und 33 OGG). Das Verbot politischer Vereinigungen, die nicht Parteien sind, ist Sache der vollziehenden Gewalt (Art. 9 II GG, §§ 3 ff. VereinsG). Ein Antrag festzustellen, ob eine Partei verfassungswidrig ist und verboten beziehungsweise von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen werden sollte, ist mithin nur zulässig, wenn es sich bei der Antragsgegnerin um eine Partei handelt. Anderenfalls wären einschlägige Anträge durch das Oberste Gericht als unzulässig zu verwerfen (vgl. BVerfGE 91, 262 <267 Rn. 20>; 91, 276 <284 Rn. 26>), da das besondere, wegen der herausgehobenen verfassungsrechtlichen Stellung der politischen Parteien beim Obersten Gericht monopolisierte, vom allgemeinen Vereinsrecht abweichende Verbotsverfahren auf Vereine oder anderweitige Zusammenschlüsse, die keine politische Partei sind, keine Anwendung findet (vgl. insoweit BVerfGE 91, 262 <274 Rn. 43>; 91, 276 <293 Rn. 55>). Die hierzu maßgeblichen rechtlichen Fragen hat das ehemalige Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Einen substanziellen Grund für eine Abkehr hiervon vermag das Gericht nicht zu erkennen.


    b) Die aus Artikel 21 I GG herzuleitende Betätigungsfreiheit politischer Parteien gebietet auch die Autonomie zur Selbstauflösung. Da jedoch Artikel 21 I Satz 3 GG wie auch § 7 I vDGB die Notwendigkeit einer demokratischen Organisation politischer Parteien statuieren, erscheint es notwendig, für die erfolgreiche Auflösung einer politischen Partei, die - schon vor dem Hintergrund dessen, dass Parteien als Bindeglied zwischen der Gesellschaft und dem Staat fungieren - von ihren Mitgliedern getragen wird, genauso, wie die politische Willensbildung vom Volk zum Staat hin (und nicht umgekehrt) erfolgt, wenigstens eine positive Basisabstimmung aller Mitglieder der Partei, die darauf hingerichtet ist, die Beendigung der Existenz der politischen Partei zu beschließen, für die erfolgreiche Auflösung einer politischen Partei zu verlangen.


    aa) Dabei erscheint es - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - schon ausreichend, eine Basisabstimmung aller Mitglieder durchzuführen. Ein Parteitag wird durch das Oberste Gericht nicht vorausgesetzt. Schließlich ist das Oberste Gericht insbesondere auch dazu berufen, staatliches Recht im Einklang mit den in der Simulation gegeben Befindlichkeiten anzuwenden (vgl. OGE 3, 11 <15>; 3, 30 <37f.>; OG, Urteil vom 11. Juli 2022 - 3 BvT 2/22; m. w. N.; stRspr.). Mit einer Abstimmung auf einem Parteitag nach § 6 II Nummer 11 Satz 1 PartG würde jedenfalls eine Dopplung einhergehen, der es im Übrigen an einer Notwendigkeit fehlt. Ferner würde ein Parteitag auf Grund seines Veranstaltungscharakters mit sich bringen, dass es womöglich einigen Mitgliedern einer politischen Partei in Ermangelung terminlicher Ressourcen nicht möglich wäre, an einer Parteitagsabstimmung teilzunehmen. Unter Umständen vermag dies resultatserheblich zu sein. Das Erfordernis eines Parteitages aus § 6 II Nummer 11 Satz 1 PartG ist somit nur bedingt zweckdienlich und ginge an der Realität der Simulation vorbei. Insoweit ist kein Parteitag als Erfordernis für eine erfolgreiche Auflösung vorauszusetzen.


    bb) Vielmehr ist wenigstens eine Urabstimmung über die Auflösung als ausreichend zu erachten. Dies erscheint schon vor dem Hintergrund sinnvoll, dass der Urabstimmung, die einen einschlägigen Beschluss zu kippen, zu bestätigen oder zu ändern vermag, nach § 6 II Nummer 1 Satz 2 größeres Gewicht als dem Parteitag - unabhängig von seinem Organisationsmodus - zu Teil wird.


    2. Die Antragsgegnerin hat es nicht vermocht, einen Nachweis über eine Auflösung, die durch Urabstimmung durch die Parteibasis der BUW gebilligt worden ist, zu erbringen. Damit kann das Gericht nicht von einer rechtmäßigen demokratisch legitimierten Auflösung der BUW ausgehen. Hiermit erübrigen sich alle anderen Fragen hinsichtlich des rechtmäßigen Zustandekommens einer Auflösung der BUW sowie die Frage, ob mit einer Auflösung der BUW eine Unzulässigkeit der Anträge der Antragstellerin einhergeht. Auch sonst ist jedenfalls kein Grund ersichtlich, warum das Verfahren nicht fortzusetzen ist. Die angeordnete mündliche Verhandlung ist fortzusetzen.


    Christ-Mazur | Neuheimer | Thälmann | Siebert

    OBERSTES GERICHT

    – 6 BvT 4/22 –



    Im Namen des Volkes


    In dem Verfahren

    über

    die Regelbeschwerde




    Beschwerdeführerin:

    Frau Dr. Dr. Emilia von Lotterleben


    - Bevollmächtigter:

    Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. Joachim Holler, Fouquestraße 5, 81241 München;


    Antragsgegnerinnen:


    1. Freiheitliches Forum Deutschlands, Bundespartei,

    vertreten durch den Bundesvorsitzenden Dr. Christian Reichsgraf Schenk von Wildungen,

    Wilhelmstraße 144d, 10117 Berlin;


    2. Bundeswahlleitung,

    vertreten durch die Bundeswahlleiterin Frau Elke Kanis,

    Gustav-Stresemann-Ring 11, 65189 Wiedesbaden;


    wegen behaupteter spielregelwidriger Gründung des Freiheitlichen Forums Deutschlands


    hat der Sechste Senat der Ersten Kammer des Obersten Gerichts


    unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


    Präsidentin Christ-Mazur,


    Vizepräsident Neuheimer,


    Thälmann,


    Siebert


    am 18. Juli 2022 gemäß Artikel 3 II Satz 2 des Gesetzes zur Reform von Wahladministration, Moderation und oberstem Gericht und zur Änderung weiterer Vorschriften über die Sanktionierung einstimmig beschlossen:


    Die Sache wird von Amts wegen an die zweite Kammer des Obersten Gerichtes verwiesen.


    Christ-Mazur | Neuheimer | Thälmann | Siebert


    OBERSTES GERICHT

    – 6 BvT 3/22 –



    In dem Verfahren

    über

    die Regelbeschwerde



    d e r Frau Dr. Dr. Emilia von Lotterleben


    - Bevollmächtigter: Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. Herribert Gorenswick-Schwittke


    gegen


    Freiheitliches Forum Deutschlands, Bundespartei,

    vertreten durch den Bundesvorsitzenden Dr. Christian Reichsgraf Schenk von Wildungen,

    Wilhelmstraße 144d, 10117 Berlin,


    wegen behaupteter spielregelwidriger Gründung des Freiheitlichen Forums Deutschlands


    hat der Sechste Senat der Ersten Kammer des Obersten Gerichts


    unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter



    Präsidentin Christ-Mazur,


    Vizepräsident Neuheimer,


    Thälmann,


    Siebert



    am 18. Juli 2022 gemäß § 18 III Satz 1 ModAdminG einstimmig beschlossen:


    Das Regelbeschwerdeverfahren wird eingestellt.



    Gründe:


    Das Verfahren war einzustellen. Die Beschwerdeführerin hat mit Schriftsatz vom 04. Juli 2022 das Zurückziehen des Antrages und damit die Erledigung der Regelbeschwerde erklärt.


    Die Entscheidung ist unanfechtbar.



    Christ-Mazur | Neuheimer | Thälmann | Siebert


    Leitsätze


    zum Urteil des Dritten Senates der Ersten Kammer des Obersten Gerichtes vom 11. Juli 2022


    - 3 BvT 2/22 -


    (Bestätigung des Senates der Freien und Hansestadt Hamburg)



    1. Eine Norm ist nach ständiger Rechtsprechung der Verfassungsgerichte nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch der ihr zugrundeliegenden Regelungsintention nach auszulegen.


    2. Für die erfolgreiche Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren gemäß Artikel 34 II Satz 2 HV ist unter Berücksichtigung des § 9 vDGB die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.


    OBERSTES GERICHT

    – 3 BvT 2/22 –



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    Im Namen des Volkes



    In dem Verfahren

    über

    den Antrag festzustellen:



    Artikel 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ist in Verbindung mit § 9 I Nummer 2, V Nummer 3 vDeutsches Gesetzbuch dahingehend auszulegen, dass die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren durch die Bürgerschaft mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen unter Berücksichtigung der Enthaltungen zu erfolgen hat.


    und Antrag auf Richterablehnung,


    Antragsteller und Beteiligte zu 1.:


    1. Manuela Kotting-Uhl MdHB,

    2. Falko Hajduk MdHB,

    3. Enrico Maier MdHB,

    4. Ernesto B. Dutschke MdHB,


    Weitere Beteiligte:


    2. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg,

    vertreten durch ihren Präsidenten,
    den Abgeordneten Hajime Nagumo MdHB,
    Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,


    3. Senat der Freien und Hansestadt Hamburg,

    vertreten durch seinen Präsidenten,
    den Ersten Bürgermeister Lando Miller MdHB,
    Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,



    hat die Erste Kammer des Obersten Gerichtes - Dritter Senat -


    unter Mitwirkung der Richterinnen und des Richters


    Präsidentin Christ-Mazur,


    Vizepräsident Neuheimer,


    Siebert


    auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 08. und 09. Juli 2022 durch


    Urteil


    für Recht erkannt:


    Artikel 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ist unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften des § 9 vDGB dahingehend auszulegen, dass die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren analog zur Wahl des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg nach Artikel 34 I der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg durch die Bürgerschaft mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen unter Berücksichtigung der Enthaltungen zu erfolgen hat.



    Gründe:


    A.


    I.


    Am 20. Juni 2022 stellte der Präsident der Hamburgischen Bürgerschaft - Herr Hajime Nagumo MdHB - fest, dass die Senatoren des Senates Miller ordnungsgemäß bestätigt worden seien. Daraufhin erhoben Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft, darunter auch Antragstellerinnen und Antragsteller, den Einwand, es sei eine absolute Mehrheit für eine Bestätigung erforderlich. Der Bürgerschaftspräsident erwiderte, Artikel 34 II HV sehe lediglich die Bestätigung, jedoch keine bestimmten Mehrheitsquoren vor, was auch durch die Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft keine Änderung erfahre, womit er den Einwand der Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft zurückgewiesen hat.


    II.


    Für die Wahl des Ersten Bürgermeisters werde in Artikel 34 I HV eine absolute Mehrheit vorgesehen. Wenn für die Personenwahl aus Artikel 34 I HV eine Personenwahl vorgesehen ist, so könne in Analogie nichts anderes für die Bestätigung der Senator*innen gelten. Ziel des Artikel 34 HV sei es - auch mit Blick auf die Erhaltung von Demokratie - ferner, den Senat mit einer sicheren parlamentarischen Mehrheit auszustatten und die politische Handlungsfähigkeit und Kontinuität des Senates sicherzustellen. Hierfür sei es konsequenterweise von Nöten, auch für die Bestätigung des Senates eine absolute Mehrheit zu verlangen. Mit der Verfassungsänderung 1996 hätte nur die gemeinsame Bestätigung des Senates zum Ziel gehabt - Ziel sei es nicht gewesen, die notwendigen Quoren herabzusetzen. Letzteres sei eben nicht explizit im Gesetzestext vorgesehen gewesen. Somit sei eine absolute Stimmenmehrheit in Einklang mit § 9 vDGB erforderlich.


    III.


    Der Senat bezog erstmalig mit Schriftsatz vom 28. Juni 2022 und beantragt, den Antrag als unbegründet zurückzuweisen.


    Artikel 34 II HV sehe keine Wahl vor; die Kollektivbestätigung sei als Antrag aufzufassen. Wie aus dem Wortlaut hervorgehe, gebe die Formulierung "von der / durch die Bürgerschaft" keinerlei Aufschluss darüber, wie der Mehrheitsbegriff aus § 9 vDGB auszulegen sei. Es gebe keinen Hinweis auf das notwendige Mehrheitsquorum, das sich aus der Verfassung ergibt. Ergo sei Artikel 19 HV anzuwenden, der für diesen Fall lediglich die Notwendigkeit einer einfachen Mehrheit vorsehe. Somit sei lediglich eine einfache Mehrheit erforderlich.


    IV.


    Die Bürgerschaft als weitere äußerungsberechtigte Beteiligte verzichtete auf eine Stellungnahme.


    V.


    Im Rahmen der durch das Gericht nach § 15 II OGG angeordneten mündlichen Verhandlung vertieften die Beteiligten ihre Standpunkte. Für Einsicht näherer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.


    B.


    Für die Entscheidung maßgeblich sind die Vorschriften des Gesetzes über das Oberste Gericht (OGG) in Verbindung mit § 34 OGG und dem Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht (HVerfGG).


    C.


    Der Antrag ist zulässig.


    I.


    Die Antragstellerinnen und Antragsteller sind antragsberechtigt.


    1. Nach § 8 OGG ist jedermann antragsberechtigt, soweit ihm nicht durch das Gesetz über das Oberste Gericht - hier mit dem Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht im Einklang anzuwenden - die Klageberechtigung entzogen wird. Nach § 39 II Satz 1 HVerfGG sind, sofern Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft Auslegungsklage erheben, ein Fünftel der Mitglieder der Bürgerschaft antragsberechtigt. So liegt es hier: es gibt vier Antragstellerinnen und Antragsteller, die einen Anteil von mehr als einem Fünftel der Mitglieder der Bürgerschaft ausmachen.


    2. Diese Berechtigung ist nicht dadurch (ggf. partiell) entfallen, dass ein Teil der antragstellenden Abgeordneten nach Antragstellung nicht mehr der Bürgerschaft angehört. Maßgeblich für das Recht eines Abgeordneten, an einem Antrag nach Artikel 65 III Nr. 1 HV mitzuwirken, ist sein Status in dem Zeitpunkt, zu dem der Verfassungsstreit anhängig gemacht worden ist (vgl. zum Organstreit: BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2000, 2 BvH 3/91, BVerfGE 102, 224, juris Rn. 31 m.w.N.; VerfGH Bayern, 11. September 2014, Vf 67-IVa-13, NVwZ-RR 2015, 81, juris Rn. 30; vgl. zum Normenauslegungsstreit: HVerfG, Urteil vom 15. September 2015, HVerfG 5/14; stRspr.). Denn Streitgegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens nach Art. 65 Abs. 3 Nr. 1 HV ist nicht die Klärung eigener Rechte eines Beteiligten, sondern die Auslegung einer Verfassungsnorm, die durch einen antragsberechtigten Beteiligten nur angestoßen wird (vgl. zur Anstoßfunktion des Antrags in einem abstrakten Normenkontrollverfahren: Rozek in Maunz/Dürig, BVerfGG, Stand Juni 2001, § 76 Rn. 7; vgl. zum Streitgegenstand: David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 2. Auflage 2004, Artikel 65 Rn. 29; HVerfG, Urteil vom 15. September 2015, HVerfG 5/14; stRspr.). An der Klärung der von den Antragstellerinnen und Antragstellern aufgeworfenen Frage besteht auch heute noch ein öffentliches Interesse.


    II.


    Es liegt auch eine Streitigkeit im Sinne des Artikels 65 III Nr. 1 HV sowie § 14 Nr. 1 HVerfGG vor, die sich aus der Auslegung der Verfassung ergibt. Die Antragstellerinnen und Antragsteller messen der Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren einen besonderen Zweck im Sinne der Ausstattung des Senates mit einer verlässlichen Mehrheit sowie dem gesetzgeberischen Willen eine andere Bedeutung zu als der Präsident der Hamburgischen Bürgerschaft. Entsprechend dem Ziel eines Norminterpretationsverfahrens nach Artikel 65 III Nr. 1 HV, die Auslegung einer Norm der Hamburgischen Verfassung verbindlich zu klären, liegt eine Meinungsverschiedenheit bereits dann vor, wenn Vorsitzende des Legislativorganes, die über das (rechtmäßige) Zustandekommens einer Entscheidung desselben zu befinden haben, eine andere Rechtsauffassung vertreten als die Antragstellerinnen und Antragsteller. So liegt es hier. Insoweit sieht Artikel 65 III Nr. 1 HV, eine Besonderheit des Hamburgischen Verfassungsrechts, eine Art (rechts-)gutachterlicher Tätigkeit des Hamburgischen Verfassungsgerichts vor (vgl. zu Verfahren nach Artikel 65 III Nr. 4 HV: HVerfG, Urt. vom 15. Januar 2013, HVerfG 3/12, juris Rn. 73).


    III.


    Eine Unzulässigkeit kann auf Grund nicht ordnungsgemäßer Antragstellung auch nicht dadurch begründet werden, dass die Antragstellerinnen und Antragsteller ihre Unterschrift nicht unter den Antrag nach § 39 II Satz 1 HVerfGG gesetzt haben. Das Oberste Gericht ist nämlich dazu berufen, staatliches Recht im Einklang mit den in der Simulation gegeben Befindlichkeiten anzuwenden (vgl. OGE 3, 11 <15>; 3, 30 <37f.> m. w. N.; stRspr.). Würde es eine Unterschrift verlangen, so müssten konsequenterweise andere Vorgänge, die sim-on erfolgen, mit der Pflicht einer Unterschrift belegt werden, was schlicht und ergreifend inpraktikabel wäre. Vielmehr ist die bloße Nennung der Antragstellerinnen und Antragsteller als ausreichend anzusehen.


    D.


    Der Antrag ist auch begründet.


    I.


    1. Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und insbesondere dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <130 f.>; 105, 135 <157>; stRspr). Der Erfassung des gesetzgeberischen Willens dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 105, 135 <157>). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird nämlich erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122, 248 <283> - abweichende Meinung). Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall - auch unter gewandelten Bedingungen - möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.>).


    2. In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 <24> m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248 <284> - abweichende Meinung).


    II.


    Nach diesen Maßstäben ist Artikel 34 II Satz 2 HV dahingehend auszulegen, dass unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften des § 9 vDGB die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren analog zur Wahl des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg nach Artikel 34 I der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg durch die Bürgerschaft mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen unter Berücksichtigung der Enthaltungen zu erfolgen hat.


    1. In der ständigen Rechtsprechung des ehemaligen Bundesverfassungsgerichtes (siehe oben) hat sich die sogenannte Vereinigungstheorie durchgesetzt, wenn es um Fragen, wie Normen auszulegen sind, geht. Dementsprechend ist in die Erwägungen des Richters, wie eine Norm auszulegen ist, nicht nur der bloße Wortlaut einzustellen, sondern eben auch Telos sowie (Sach-)Zusammenhang. Nach Ansicht des Gerichtes gibt es keinen hinreichend substanziellen Grund, von dieser von einer vermittelnden Rechtsauffassung geprägten Rechtsprechung abzuweichen.


    2. Prinzipiell begehren die Antragstellerinnen und Antragsteller, das Mehrheitsquorum aus Artikel 34 I HV analog auf die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren nach Artikel 34 II Satz 2 HV anzuwenden und von der Analogie Gebrauch zu machen. Voraussetzungen ist das Fehlen eines Ausschlusses einer Analogie, eine planwidrige Nichterwähnung eines Mehrheitsquorums in der einschlägigen Norm sowie eine vergleichbare Interessenlage.


    3. Eine analoge Anwendung des Mehrheitsquorums aus Artikel 34 I HV auf die Bestätigung des Senates nach Artikel 34 II Satz 2 HV ist geboten.


    a) Eine wortlautgetreue Auslegung unter Rückgriff auf Artikel 19 HV, nach dem lediglich eine einfache Mehrheit für eine erfolgreiche Bestätigung erforderlich wäre, wäre zwar grundsätzlich denkbar, würde aber den durch den Verfassungsgesetzgeber intendierten Regelungsgedanken - entgegen der ständigen Rechtsprechung des ehemaligen Bundesverfassungsgerichtes - gänzlich verkennen.


    aa) Der Einwand des Senates, der Senat wäre bereits durch Wahl des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg mit sicherer Mehrheit ausgestattet und der Zweck sei lediglich Wahrung von "Tradition", hält einer eingehenden Prüfung des Telos nicht stand. Sinn und Zweck der Verfassungsnovelle (vgl. Hamburgische Bürgerschaft, Drs. 16/2980 - 07. September 1999), die Ende der 1990er-Jahre durchgeführt wurde, war es, hinsichtlich der Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren der Freien und Hansestadt für einen vereinfachten Vorgang zu sorgen, indem diese einer gemeinsamen Bestätigung unterliegen sollten. Böte eine solche Bestätigung des Senates nach Auffassung des Gesetzgebers keinerlei Mehrwert, so hätte es dem verfassungsändernden Gesetzgeber zugestanden, diese im Sinne der Vereinfachung des Prozesses zur Regierungsbildung gänzlich entfallen zu lassen. So liegt es hier jedoch nicht.


    bb) Vielmehr steht hinter der verfassungsrechtlichen Normen, die eine Bestätigung des Senates erforderlich machen, der Regelungsgedanke, den gesamten Senat mit einer sicheren und nachhaltigen Mehrheit in der Hamburgischen Bürgerschaft für die Dauer der gesamten Wahlperiode auszustatten und so präventiv gegen Regierungskrisen, die zweifelsohne staatsgefährdend und demokratiezersetzend sind, vorzugehen. Insoweit ist der Bestätigung des Senates keine verfassungsrechtliche Rolle eines einfachen Beschlusses, sondern eine hervorgehobene Rolle zur Gewährleistung der Handlungsfähigkeit des Senates, zur Verhinderung von Regierungskrisen sowie tiefergreifend und langfristig angelegt eine präventive Funktion zum Schutz der Demokratie beizumessen. Das Gericht wurde in dieser Auffassung durch die Argumentation des Bevollmächtigten der Antragstellenden hinsichtlich der Auswirkungen, die ein einziges Regierungsmitglied für die Strahlkraft und Wirkungsmöglichkeiten der Regierung in die Gesellschaft haben kann, bestärkt.


    b) Eine analoge Anwendung des Mehrheitsquorums aus Artikel 34 I HV wäre nach Ansicht des Gerichtes ausgeschlossen, wenn die Nichterwähnung des Quorums planvoll durch den verfassungsändernden Gesetzgeber erfolgt wäre, ist das Gericht doch rechtsprechender und rechtsanwendender Natur, nicht jedoch rechtsetzender Natur. In diesem Falle würde sich in Verbindung mit Artikel 19 HV ein definitives Analogieverbot (argumentum e contrario) und damit die Unbegründetheit des vorliegenden Antrages ergeben. So liegt es hier jedoch nicht: weder ergibt sich aus Begründungen der genannten Verfassungsnovelle (vgl. Hamburgische Bürgerschaft, Drs. 16/2980 - 07. September 1999), noch aus dem einschlägigen Gesetzestext, dass die Nichterwähnung eines Mehrheitsquorums planvoll war. Letzteres wäre etwa der Fall gewesen, wäre neben der einschlägigen Neufassung des Artikels 34 I HV auch Artikel 19 HV durch den verfassungsändernden Gesetzgeber angetastet worden. Vielmehr ist - auch in Anbetracht des zu a)-bb) beschriebenen Regelungskonzeptes des Artikels 34 HV - von einer planwidrigen Nichterwähnung des einschlägigen Mehrheitsquorums in der entsprechenden Norm auszugehen.


    c) Auch statuiert Artikel 19 HV kein mit Artikel 103 II GG vergleichbares Analogieverbot, ist Artikel 103 II GG im Wortlaut weitaus restriktiver angelegt. Vielmehr ist Artikel 19 HV, um den gesetzgeberischen Regelungswillen und den Telos des Artikels 34 HV bestmöglich zum Ausdruck zu bringen, teleologisch zu reduzieren. Auch ist die Vergleichbarkeit der Interessenlage der beiden Tatbestände von vorneherein anzunehmen, da sowohl dem Artikel 34 I HV als auch dem Artikel 34 II HV der gleiche Telos - Ausstattung des Senates mit verlässlicher, nachhaltiger Mehrheit und indirekt Demokratieschutz - innewohnt. Insoweit ist, um den verfassungsgesetzgeberischen Regelungswillen bestmöglich zum Ausdruck zu bringen, die analoge Anwendung des Mehrheitsquorums aus Artikel 34 I HV geboten und Artikel 34 II HV dahingehend auszulegen, dass die Bestätigung des Senates mit der absoluten Mehrheit der abgegeben Stimmen unter Berücksichtigung des § 9 vDGB - in der Normenhierarchie höherrangig - zu erfolgen hat.


    4. Ein Rückgriff auf Geschäftsordnungsrecht zur Begründung eines Normenauslegungsantrages in einer Verfassungsstreitsache verbietet sich mit Blick auf die normenhierarchische Struktur der Legislatur.


    E.


    1. Der Richter Thälmann hat sich auf Grund von Befangenheit selbst abgelehnt und war an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt. Damit findet das Ablehnungsgesuch der Antragsteller*innen seine Erledigung.


    2. Diesem Urteil wohnt nach § 15 I Satz 2 HVerfGG Gesetzeskraft inne.


    3. Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen und ist unanfechtbar.



    Christ-Mazur | Neuheimer | Siebert



    betritt mit Vizepräsident Neuheimer und Richterin Siebert den Sitzungssaal


    Bitte nehmen Sie Platz.


    Ich eröffne hiermit die Sitzung des Dritten Senates der Ersten Kammer des Obersten Gerichtes zur

    Verkündung einer Entscheidung in dem Normenauslegungsverfahren


    1. der Frau Manuela Kotting-Uhl MdHB

    2. des Herrn Falko Hajduk MdHB

    3. des Herrn Enrico Meier MdHB

    4. des Herrn Ernesto B. Dutschke MdHB


    über die Auslegung des Artikels 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg.


    Weitere Beteiligte sind


    1. die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg

    2. der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg.


    Erschienen sind


    - für die Antragstellerinnen und Antragsteller:


    1. Frau Manuela Kotting-Uhl

    2. Herr Falko Hajduk

    3. Herr Enrico Meier

    4. Herr Ernesto B. Dutschke


    und als Bevollmächtigter Herr Prof Dr. Joachim Holler.


    - für die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg:


    Herr Bürgerschaftspräsident Hajime Nagumo.


    - für den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg:


    1. Herr Erster Bürgermeister Lando Miller

    2. Herr Jacob Kuehl als Leiter der Senatskanzlei.


    Damit wäre die Anwesenheit geklärt. Wir schreiten nunmehr zur Urteilsverkündung.


    Es wird folgendes Urteil verkündet:


    Im Namen des Volkes:


    Artikel 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ist unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften des § 9 vDGB dahingehend auszulegen, dass die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren analog zur Wahl des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg nach Artikel 34 I der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg durch die Bürgerschaft mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen unter Berücksichtigung der Enthaltungen zu erfolgen hat.


    Bitte nehmen Sie Platz.


    Sehr geehrte Damen und Herren,


    der Antrag der vier Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft hat vollumfänglich Erfolg. Der Senat ist in seinen Beratungen zu der einhelligen Auffassung gelangt, dass das Verlangen einer absoluten Stimmenmehrheit analog zur Wahl des Ersten Bürgermeisters geboten ist, um der Regelungskonzeption und dem verfassungsgesetzgeberischen Regelungswillen gerecht zu werden. Damit hat das Gericht eine Auslegungsfrage nach dieser Fassung der Verfassung der Freien und Hansestadt verbindlich geklärt. Das ist der Sinn einer Auslegungsstreitigkeit, eines Normenauslegungsverfahrens: nämlich das Schaffen von Rechtssicherheit und von Klarheit. Zwar bietet der Wortlaut einer Norm einen Ausgangspunkt zur Auslegung einer Norm, wie der Senat zutreffend erkannt hat. Jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auch Sinn- und Sachzusammenhang sowie Telos in die Erwägungen des Gerichtes, wie eine Norm auszulegen ist, einzustellen. Der Telos, der dieser Norm innewohnt, stellt in erster Linie unmittelbar auf das Ausstatten des Senates mit einer verlässlichen und nachhaltigen Mehrheit, das Sicherstellen politischer Handlungsfähigkeit und das Verhindern von Regierungskrisen, mittelbar mit Blick auf die Auswirkungen einer Regierungskrise damit auch das Bewahren von Demokratie ab. Für das Gericht ist nicht ersichtlich, inwieweit der verfassungsändernde Gesetzgeber gewillt war, das Mehrheitsquorum herabzusetzen. Indizien dafür, dass das Nichterwähnen eines Mehrheitsquorums mit Blick auf Artikel 19 HV von Planfülle geprägt war und somit dafür, dass ein argumentum e contrario anzuwenden ist, vermochte das Gericht im Rahmen seiner Beratungen nicht zu erkennen. Vielmehr geht das Gericht von der Planwidrigkeit des Nichterwähnens eines benötigten Mehrheitsquorums aus. Auch in Artikel 19 HV vermag das Gericht ein statuiertes Analogieverbot aufgrund der im Vergleich zu Artikel 103 II GG deutlich weniger restriktiven Wortwahl nicht zu erkennen. Insoweit würde das Gericht bei wortgetreuer Auslegung den intendierten Regelungswillen gänzlich verkennen. Dementsprechend ist Artikel 34 I HV analog auf die Bestätigung des Senates anzuwenden, wohingegen Artikel 19 HV teleologisch zu reduzieren ist.


    Werte Anwesende,


    Sie erhalten nun die Ausfertigung des Urteiles und ich werde Ihnen die ausführlichen Entscheidungsgründe sogleich verlesen.

    715-logo-klein-png





    Das Oberste Gericht gibt bekannt:




    Die Entscheidungsverkündung


    In dem Verfahren

    über

    den Antrag festzustellen:


    Artikel 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ist in Verbindung mit § 9 I Nummer 2, V Nummer 3 vDeutsches Gesetzbuch dahingehend auszulegen, dass die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren durch die Bürgerschaft mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen unter Berücksichtigung der Enthaltungen zu erfolgen hat.


    und Antrag auf Richterablehnung gegen den Richter Thälmann


    Antragsteller und Beteiligte zu 1.:


    1. Manuela Kotting-Uhl MdHB,

    2. Falko Hajduk MdHB,

    3. Enrico Maier MdHB,

    4. Ernesto B. Dutschke MdHB,


    Weitere Beteiligte:


    2. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg,

    vertreten durch ihren Präsidenten,
    den Abgeordneten Hajime Nagumo MdHB,
    Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,


    3. Senat der Freien und Hansestadt Hamburg,

    vertreten durch seinen Präsidenten,
    den Ersten Bürgermeister Lando Miller MdHB,
    Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,




    findet am Montag, den 11. Juli 2022, 18:30 Uhr



    im Sitzungssaal des Obersten Gerichts,

    Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe statt.

    Leitsätze


    zum Beschluss des Dritten Senates der Ersten Kammer des Obersten Gerichtes vom 10. Juli 2022


    - 3 BvD 1/21 -

    - 3 BvD 2/21 -


    (Anklage der Bundespräsidentin)


    1. Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG ist im Lichte des Artikels 20 II GG auszulegen.


    a) Mit Blick auf dem Umstand, dass eine Verurteilung in einem Verfahren im Zuge einer Anklage der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten die Möglichkeit eröffnet, mit einer Amtsenthebung in die Kompetenz der Bundesversammlung, das Staatsoberhaupt für die folgende Amtszeit zu bestimmen, gravierend eingreift, ist grundsätzlich ein strengerer Maßstab an die Begründetheit anzulegen.


    b) Dieser Maßstab umfasst die Delikte, die taugliche Grundlage für eine Verurteilung darstellen können, sowie den für eine Verurteilung notwendigen Vorsatz. Taugliche Rechtsverletzungen vermögen nur solche zu sein, die von erheblichem öffentlichen Wirkungsgrade sind und etwa das Vertrauen in staatliche Institutionen tangieren oder das Funktionieren des demokratischen Systems oder den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu beeinträchtigen drohen.


    2. Das Oberste Gericht kann die Antragsgegnerin in einem Verfahren auf Grundlage von Artikel 61 GG nicht mehr für des Amtes verlustig erklären, wenn das Amtsverhältnis des Staatsoberhauptes bereits durch andere Umstände vor der Entscheidungsfindung seine Beendigung gefunden hat.


    a) Es wird zwar dem Obersten Gericht durch Artikel 61 II Satz 1 GG ausdrücklich ermöglicht, die Antragsgegnerin in einem solchen Verfahren für des Amtes verlustig zu erklären.


    b) Jedoch wird eine solche Feststellung nach Artikel 61 II Satz 1 GG durch Beendigung des Amtsverhältnisses der Antragsgegnerin durch andere Umstände vorweggenommen. Das Oberste Gericht kann somit die durch eine der beiden beziehungsweise durch beide gesetzgebenden Körperschaften begehrte Rechtsfolge nicht mehr erwirken; vielmehr findet ein einschlägiger Antrag durch diesen Umstand seine Erledigung.


    OBERSTES GERICHT

    - 3 BvD 1/21 -

    - 3 BvD 2/21 -


    Verkündet

    am 10. Juli 2022

    Christ-Mazur

    Berichterstatterin

    als Präsidentin

    des Gerichtes


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    Im Namen des Volkes



    In dem Verfahren

    über

    die Anträge:



    1. a) festzustellen, dass die Antragsgegnerin durch ihre Nichternennung des vom Antragsteller gewählten Bundeskanzlers vorsätzlich gegen Artikel 63 IV Satz 2 GG und durch die von ihr vorgenommenen Auflösung des Bundestages vorsätzlich gegen Artikel 63 IV Satz 3 in Verbindung mit Artikel 39 I GG verstoßen hat;


    b) die Antragsgegnerin ihres Amtes für verlustig zu erklären;


    Antragstellerin: Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, gesetzlich vertreten durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Dr. Matthias Linner MdB, Platz der Republik 1, 11011 Berlin,


    - Verfahrensbevollmächtigter:

    Rechtsanwalt Prof. Dr. Joachim Holler, Fouquestraße 5, 81242 München,

    c/o Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin,


    Antragsgegnerin: Frau Bundespräsidentin Isabelle Yersin, Bundespräsidialamt, Spreeweg 1, 10557 Berlin,


    - Verfahrensbevollmächtigter:

    Rechtsanwalt Dr. Konrad Wolff


    - 3 BvD 1/21 -,


    2. a) festzustellen, dass die Antragsgegnerin


    aa) durch ihre Nichternennung des vom Deutschen Bundestages gewählten Bundeskanzlers vorsätzlich gegen Artikel 63 IV Satz 2 GG verstoßen hat;


    bb) durch die von ihr vorgenommenen Auflösung des Bundestages vorsätzlich gegen Artikel 63 IV Satz 3 in Verbindung mit Artikel 20 I GG verstoßen hat;


    cc) durch ihre Festlegung des Wahltermins der Neuwahl des Bundestages auf den 25. März 2021 vorsätzlich gegen Artikel 39 I Satz 3 GG verstoßen hat;


    b) die Antragsgegnerin ihres Amtes für verlustig zu erklären;


    Antragstellerin: Bundesrat, Leipziger Straße 3 - 4, 11017 Berlin, gesetzlich vertreten durch den Präsidenten des Bundesrates, Herrn Sebastian Fürst MdBR, Leipziger Straße 3-4, 11017 Berlin,


    - Verfahrensbevollmächtigter:

    Prof. Dr. Joachim Holler, Fouquestraße 5, 81242 München,

    c/o Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin,


    Antragsgegnerin: Frau Bundespräsidentin Isabelle Yersin, Bundespräsidialamt, Spreeweg 1, 10557 Berlin,


    - Verfahrensbevollmächtigter:

    Rechtsanwalt Dr. Konrad Wolff


    - 3 BvD 2/21 -,


    hat der Dritte Senat der Ersten Kammer des Obersten Gerichtes unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


    Präsidentin Christ-Mazur,


    Vizepräsident Neuheimer,


    Thälmann,


    Siebert


    am 10. Juli 2022 beschlossen:


    1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

    2. Die Anträge werden als unzulässig abgelehnt.



    Gründe:


    A.



    I.


    1. Am 06. März 2021 wurde das Ergebnis des dritten Wahlganges der Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland durch den damaligen Bundestagspräsidenten, Herrn Jan Friedländer, festgestellt. Herrn Tom Schneider wurde dabei bescheinigt, die absolute Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages erhalten zu haben. Tags darauf setzte die damalige Bundespräsidentin und die Antragsgegnerin, Isabelle Yersin, die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis, Herrn Tom Schneider nicht zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu ernennen, da es Unstimmigkeiten bei dem dritten Wahlgang gegeben habe. Herr Tom Schneider habe die absolute Mehrheit nicht erreicht, weswegen sie das Recht in Anspruch nehme, Herrn Tom Schneider nicht zu ernennen und den fünften Deutschen Bundestag aufzulösen. Die Antragsgegnerin setzte den Deutschen Bundestag hierüber am 07. März 2021 in Kenntnis; den Termin zur Neuwahl setzte sie am 08. März 2021 für den 25. März 2021 fest.


    2. a) Die Antragstellerinnen rügen dabei die Nichternennung des Herrn Tom Schneider zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sowie die Anordnung über die Auflösung des fünften Deutschen Bundestages und die Festsetzung eines Termins zur Neuwahl des Deutschen Bundestages durch die Antragsgegnerin und begehren, durch das Gericht feststellen zu lassen, dass die Antragsgegnerin durch die Nichternennung des Herrn Tom Schneider zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gegen Artikel 63 IV Satz 2 GG, durch die Auflösung des fünften Deutschen Bundestages gegen Artikel 63 IV Satz 3 in Verbindung mit Artikel 20 I GG und durch die Festsetzung eines Termines für eine Neuwahl des Deutschen Bundestages gegen Artikel 39 I Satz 3 GG verstoßen hat und dass diese alle Verstöße vorsätzlich begangen hat.


    b) Ferner begehren die Antragstellerinnen in Folge der Feststellung vorsätzlicher Verletzungen gegen Verfassungsrecht die Feststellung, dass die Antragsgegnerin ihres Amtes verlustig ist.


    II.


    1. Die Antragsgegnerin hat es unterlassen, Herrn Tom Schneider zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu ernennen, nachdem Bundestagspräsident Jan Friedländer das Erreichen der absoluten Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages festgestellt hat.


    a) Am Morgen des 06. März 2022 stellt Bundestagspräsident Jan Friedländer fest, dass Herr Tom Schneider vor Ende des Wahlganges die absolute Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages erreicht habe:


    „Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich stelle fest, die notwendige Mehrheit konnte vorzeitig erreicht werden. Der Kandidat Tom Schneider kann zum aktuellen Zeitpunkt bereits 8 Stimmen auf sich vereinen. Herzlichen Glückwunsch zur Wahl und alles Gute für Ihre Regierung.“


    b) Kurz darauf nahm Herr Tom Schneider auf Nachfrage des Bundestagspräsidenten die Wahl an:


    Jan Friedländer: „Abgeordneter Schneider, ich frage Sie, nehmen Sie die Wahl an?“

    Tom Schneider: „Vielen Dank, Herr Bundestagspräsident, ich nehme die Wahl an.“


    Am Morgen des 07. März 2022 stellte Bundestagspräsident Jan Friedländer das nachfolgende Endergebnis des dritten Wahlganges der Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland fest:


    „Ich möchte noch das Endergebnis feststellen:

    Tom Schneider: 9 Stimmen

    Gerald Möller. 4 Stimmen

    Christian von Wildungen: 1 Stimme

    Enthaltungen: keine

    Damit ist der Wahlgang beendet.“


    c) Am Abend des 07. März 2022 gab die Antragsgegnerin bekannt, Herrn Tom Schneider nicht zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu ernennen und begründete diesen Schritt wie folgt:


    „Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Bürgerinnen und Bürger, [i]ch darf Sie recht herzlich zur Pressekonferenz betreffend dem Ausgang der Kanzlerwahl begrüßen. Wie Sie sicherlich bemerkt haben, wurde der designierte Kanzler - ich muss das hier betonen - und seine mir vorgeschlagene Regierung bisher nicht ernannt. Dies mag Sie verwundern - kann ich nachvollziehen. Das Bundespräsidialamt ist der Ansicht, dass es bei der im Bundestag stattgefundenen Wahl zum Kanzler zu Unstimmigkeiten während des Wahlvorganges gekommen sein muss. In Absprache mit unseren Juristen erkennen wir ein eindeutiges Potential und analog dazu auch die Pflicht einen Organstreit gegen die Kanzlerwahl anzustreben. Bis zur Klärung des Sachverhaltes sehe ich mich in der Pflicht, die Ernennung des "designierten" Kanzlers Schneider und dessen Regierung zu unterlassen. Bis zur Klärung der juristischen Unstimmigkeiten bleibt die geschäftsführende Regierung weiterhin mit der Aufgabe, die Regierung geschäftsführend zu führen, betraut. Mir ist bewusst, dass diese wahrlich harsche Handlung bei einigen Leuten, speziell des Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen Partei, zu emotionalen Verstimmungen führen wird. Dies ändert allerdings nichts an der Notwendigkeit dieser Amtshandlung. Kommt eine Person scheinbar unrechtmäßig in ein Staatstragendes Amt, ist dieser Umstand mit meiner Kontrollfunktion nicht zu vereinbaren. Für Nachfragen stehen wir ab sofort bereit. Ich bitte dennoch dahingehend um Verständnis, dass ich mich während eines laufenden Verfahrens (Die entsprechenden Schritte werden zeitnah in die Wege geleitet) zu den juristischen Feinheiten nicht äußern werde. Vielen Dank.“


    2. Am Abend des 07. März 2021 verfügte die Antragsgegnerin die Auflösung des Deutschen Bundestages.


    a) Diese begründete diesen Schritt wie folgt:


    „Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident, nach intensiver und sorgfältiger Prüfung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die beendete Kanzlerwahl im dritten Wahlgang nicht mit einer absoluten Mehrheit zugunsten von Herrn Vizekanzler Schneider abgeschlossen wurde. In Ausübung der mir nach Art. 63 Abs. 4 GG zustehenden Rechte setze ich Sie daher über die Auflösung des Deutschen Bundestages in Kenntnis. Der Wahltermin wird unverzüglich bekanntgegeben.“


    b) Bundestagspräsident Jan Friedländer forderte die Antragsgegnerin daraufhin auf, die Ernennung vorzunehmen. Es handele sich bei ihrem Handeln um einen unzulässigen Eingriff in die Angelegenheiten des Deutschen Bundestages:


    „Frau Bundespräsidentin, die Prüfung der Wahlgänge und deren Ergebnisfeststellung innerhalb des Bundestags sind Aufgabe und Kompetenzbereich des Bundestagspräsidenten. Ich weise Ihre Einmischung in die internen Angelegenheiten des Bundestags respektvoll aber entschieden zurück. Ich habe Sie über die erfolgreiche Wahl des Abgeordneten Schneider informiert und in diesem Sinne haben Sie zu handeln. [...]"


    c) Am 08. März 2021 setzte die Antragsgegnerin den Wahltermin auf den 25. März 2021 fest:


    „Der Wahltermin wird zum 25.03.2021 angesetzt.“


    III.


    1. Die Antragstellerinnen halten die Anträge für zulässig und begründet.


    2. Die Antragsgegnerin hält die Anträge jedenfalls für unbegründet.


    a) Nach Auffassung der Antragsgegnerin habe Herr Tom Schneider die absolute Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages nicht erreicht. Es habe Unstimmigkeiten bei dem streitigen Wahlgang gegeben. Somit sei es mit dem Grundgesetz nach Artikel 63 IV Satz 3 GG vereinbar gewesen, Herrn Tom Schneider nicht zum Bundeskanzler der Bundesrepublik zu ernennen und den Deutschen Bundestag dementsprechend aufzulösen.


    b) Dementsprechend fehle es an der - für Erfolg der Anträge nach Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG notwendigen - Verletzung von Verfassungsrecht, womit die Anträge jedenfalls unbegründet seien.


    IV.


    Anträge der Antragstellerin, im Wege der einstweiligen Anordnung zu verfügen, dass die Antragsgegnerin nach Artikel 61 II Satz 2 GG an der Ausübung ihres Amtes verhindert ist, wurden durch das Gericht wegen Erledigung (siehe analog B.-IV.) abgelehnt.


    V.


    Wegen näherer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.


    B.


    Die Anträge sind unzulässig.


    I.


    1. a) Aus Artikel 61 I GG werden bereits einige konkrete Aussagen hinsichtlich der Verfahrensvorschriften ersichtlich. Antragsberechtigt sind nach Artikel 61 I Satz 1 GG die gesetzgebenden Körperschaften des Bundes, namentlich Bundestag und Bundesrat. So muss der Antrag auf Erhebung der Anklage von wenigstens einem Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages oder von Bundesländern, die wenigstens ein Viertel der Gesamtzahl der Stimmen des Bundesrates ausmachen, gestellt werden (vgl. Artikel 61 I Satz 2 GG). Die Erhebung der Anklage muss im Wege der Beschlussfassung von wenigstens zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages oder der Stimmen des Bundesrates gebilligt werden (vgl. Artikel 61 I Satz 3 GG); ferner ist eine beauftragte Person nach Artikel 61 I Satz 4 GG zu benennen.


    b) Die Zuständigkeit für Verfahren auf Grundlage von Artikel 61 GG, die die Anklage des Staatsoberhauptes der Bundesrepublik Deutschland durch eine der beiden oder beide gesetzgebenden Körperschaften zum Gegenstand hat, liegt nach § 20 II vDGB, Artikel 61 GG, Artikel 93 I Nr. 5 GG und § 6 I Nr. 4 OGG bei der Ersten Kammer des Obersten Gerichtes.


    c) Verfahrensgegenstand kann nach Artikel 61 I Satz 1 und Artikel 61 II Satz 1 im Hauptsacheverfahren nur die Anklage gegen das Staatsoberhaupt aufgrund einer behaupteten vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland oder eines anderweitigen Bundesgesetzes durch eine der beiden gesetzgebenden Körperschaften und der Antrag dieser, das Staatsoberhaupt für des Amtes verlustig zu erklären, sein. Anderweitige Verfahrensgegenstände, etwa Verstöße gegen Länderrecht, scheiden aus.


    d) Das Gesetz über das Oberste Gericht (OGG) tätigt einige nähere Angaben über die Vorschriften zur Antragsschrift. Abseits von den Begründungsvoraussetzungen gilt, dass grundsätzlich die Anklage gegen das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland nach § 25 I, II OGG durch Einreichung einer Anklageschrift beim Obersten Gericht und durch Ausfertigung des vorsitzenden Mitgliedes jener gesetzgebenden Körperschaften und Übersendung zum Obersten Gericht binnen einer Woche erhoben wird. Dabei ist eine Dreimonatsfrist zur Erhebung der Anklage nach Bekanntwerden des zugrundeliegenden Sachverhaltes zu wahren (vgl. § 25 IV OGG). Die Feststellung, dass die Erhebung der Anklage durch eines der beiden Legislativorgane durch zwei Drittel ihrer Stimmen gebilligt worden ist, ist nach § 25 III Satz 2 OGG beizufügen.


    2. Die Antragstellerinnen sind als Legislativorgane des Bundes beide antragsberechtigt; der Anklageerhebung wurde ordnungsgemäß von jeweils zwei Dritteln der Gesamtstimmenzahl der beiden Legislativorgane zugestimmt. Ferner wurden beide Anklageschriften ordnungsgemäß durch die zum Zeitpunkt der Anklageerhebung dem jeweiligen Legislativorgan vorsitzende Person ausgefertigt. Das Bundespräsidentenanklageverfahren ist statthafte Verfahrensart; ferner ist die Erste Kammer des Obersten Gerichtes nach § 20 II vDGB, Artikel 61 GG, Artikel 93 I Nr. 5 GG und § 6 I Nr. 4 OGG zuständig. Die Schriftform sowie das Fristerfordernis wurden offenkundig gewahrt.


    II.


    Für die Fortführung des Verfahrens an sich ist auch nicht schädlich, dass die Antragsgegnerin bereits mit Wirkung vom 08. April 2021 aus dem Amt geschieden ist (vgl. OGE 3, 42 <46f.>). Das Gesetz über das Oberste Gericht schließt eine solche Auslegung im Sinne der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung bei Vorliegen von Gesetzeslücken nicht aus. Ein Analogie-Verbot, das sich aus dieser oder einer anderen Norm ergibt, liegt nicht vor. Ferner fehlt es schon an normativen Grundlagen zur Beendigung des Verfahrens (2.). Das Verfahren ist somit bis zum Abschluss fortzuführen gewesen.


    1. Möglicher Anlass für einen solchen Analogieschluss ist planwidrige Unvollständigkeit (vgl. BVerfGE 115, 51, Rn. 56; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 194 ff.; Canaris, Festschrift für Bydlinski, 2002, S. 47, 82 ff.). Eine solche planwidrige Unvollständigkeit liegt vor, sofern ein bestimmter, tatsächlich eingetretener Tatbestand nicht durch den Gesetzgeber geregelt wurde, weil er nicht bedacht wurde, aber geregelt worden wäre, sofern der Gesetzgeber die Möglichkeit eines solchen Tatbestands bedacht hätte.

    a) Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Entscheidung im Sinne der Gewaltenteilung (vgl. Artikel 20 II Satz 2 GG) respektieren und den Willen des Gesetzgebers auch unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Dabei ist den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen (vgl. BVerfGE 84, 212 <226>; 96, 375 <395>). Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfGE 118, 212 <243>).


    b) Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz wurde mit Gesetz vom 01. Oktober 2020 (BGBl. I S. 01) und das Oberste-Gericht-Gesetz wurde mit Gesetz vom 23. Januar 2021 (BGBl. I S. 08) neugefasst. Beide Neufassungen hatten zum Zwecke, die Vorschriften über die Verbindlichkeiten der Judikative, des Obersten Gerichts insgesamt, an die Realität im Rahmen der Simulation "vBundesrepublik" insgesamt anzupassen. Es ergibt sich aus Sicht des Gerichts nicht, dass die Regelungen des § 51 BVerfGG a. F. durch den Gesetzgeber willentlich abgeschafft wurde. Vielmehr ergibt sich aus Sicht des Gerichts, dass die Übernahme des § 51 BVerfGG a. F. bei beiden Neuregelungen nicht bedacht wurde. Das Gericht wird in dieser Ansicht dadurch bestärkt, dass sich in § 25 OGG oder einer anderen Norm keine Regelung für das Verfahren bei Beendigung des Amtsverhältnisses außerhalb einer Amtsenthebung finden lässt.


    c) Vergleichbarkeit der Interessenlage ist vorneherein anzunehmen, da der Tatbestand des § 51 BVerfGG a. F. sich auf die gleiche Verfahrensart bezogen hat.


    d) Nach diesen Maßstäben ist der Analogieschluss zulässig. Der Fortführung des Verfahrens steht nicht dementsprechend nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin bereits am 08. April 2021 aus dem Amt geschieden ist.


    2. Ansonsten fehlen schon normative Grundlagen, etwa im Gesetz über das Oberste Gericht, zur Beendigung des Verfahrens auf Grund des Umstands, dass das Amtsverhältnis der Antragsgegnerin als Bundespräsidentin seine Erledigung gefunden hat.


    III.


    Die Anträge werden - nach erneuter eingehender Prüfung des Obersten Gerichtes zur Zulässigkeit - verworfen, weil die Antragstellerinnen nicht antragsbefugt sind. Die Antragstellerinnen haben nicht substantiiert dargelegt, dass eine vorsätzliche Verletzung von Bundes- oder - wie in diesem Falle behauptet - Verfassungsrecht durch die Antragsgegnerin vorliegend sein könnte und somit im Raum steht.


    1. a) Grundsätzlich sind die Begründungserfordernisse zu wahren. Hierbei liegt die Begründungs- und Beweislast nach §§ 14 I Satz 2, 25 III Satz 1 OGG grundsätzlich bei der Anklage. Die Begründung der Anklage soll dem Obersten Gericht eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung des Verfahrens verschaffen (vgl. BVerfGE 15, 288 <292> analog). Hierfür müssen innerhalb der Anklagefrist das angeblich vorsätzlich verletzte Recht bezeichnet und der seine vorsätzliche Verletzung enthaltende Vorgang substantiiert dargelegt werden (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>; 99, 84 <87> analog; stRspr.). Dabei ist auf alle nach Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG für eine Verurteilung erforderlichen Tatbestandsmerkmale substantiiert abzustellen. Erst, wenn die Anklage den verfahrensgegenständlichen Vorgang und alle anklageerheblichen Tatbestandsmerkmale - auch den behaupteten Vorsatz - so schlüssig darlegt, dass eine vorsätzliche Verletzung von Verfassungs- oder Bundesrecht möglich erscheint (Möglichkeitstheorie), ist Antragsbefugnis gegeben. Für eine Aufweichung dieses – sich in verschiedenen Verfahrensarten in der ständigen Rechtsprechung durchgesetzt habenden – Erfordernisses ist kein Raum. Jedenfalls ist kein substanzieller Grund für eine Aufweichung dieses Erfordernisses – schon gar nicht mit Blick auf den schwerwiegenden Eingriff in das Recht der Bundesversammlung, den Bundespräsidenten für die nächste Amtszeit zu bestimmen, der nur ausnahmsweise, sofern die Umstände es erfordern, zulässig ist, den ein für die Anklage positiver Bescheid des Obersten Gerichtes eröffnet – ersichtlich.


    b) Vorsatz ist nach Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG eine Tatbestandsvoraussetzung, die gegeben sein muss, um eine Verurteilung in Verfahren über die Anklage des Staatsoberhauptes zu rechtfertigen. Unter Vorsatz ist zunächst grundsätzlich der Wille zur Verwirklichung eines Tatbestandes in Kenntnis aller objektiven Tatumstände einschließlich der Kausalitätsbeziehungen zu verstehen. Inhaltlich verkürzt kann von Wissen (kognitives Element) und Wollen (voluntatives Element) einer Tatbestandsverwirklichung die Rede sein (vgl. BGHSt 19, 295 <298>; stRspr.). Beides vermag in verschiedenen Relationen zueinander und in verschiedenen Eigenausprägungen aufzutreten. So kennt der dolus-Begriff (Vorsatzbegriff) die Unterteilung in dolus directus ersten Grades, dolus directus zweiten Grades und dolus eventualis (bedingter Vorsatz). Die schwächste Ausprägungsform ist der dolus eventualis - bedingter Vorsatz, der zunächst vom Grundsatz her ausreichend ist, um Vorsatz für eine Tat begründen zu können (vgl. Krey/Esser, AT, Rn. 386., Satzger/Schmitt/Widmaier/Momsen, §§ 15, 16, Rn. 44.; S. auch Heinrich, AT, Rn. 285.). Nach herrschender Auffassung ist dolus eventualis gegeben, wenn sich eine Täterin oder ein Täter den Taterfolg des eigenen Handelns für ernstmöglich hält und ihn billigend, also sich mit dem Erfolg abfindend, in Kauf nimmt (vgl. insoweit BGH, NStZ 2013, S. 91; BGH, Urteil vom 18. Juni 2020 - 4 StR 482/19, Rn. 22, NJW 2020, S. 2900). Unabhängig von der Frage der Ausprägung des Vorsatzes ist in der ständigen Rechtsprechung anerkannt, dass es, um Vorsatz für eine Tat begründen zu können, jeden Falles eines kognitiven Elementes (Wissen) und eines voluntativen Elementes (Wollen) bedarf (vgl. stRspr.).


    2. a) Den Begründungsanforderungen (1. a)) genügen die Anträge nicht. Die Antragstellerinnen setzen lediglich das voluntative Element des dolus als gegeben voraus, ohne im Ansatz zu begründen, warum dieses voluntative Element als gegeben anzusehen ist. Dem Sachvortrag der Antragstellerinnen kann jedenfalls nicht entnommen werden, dass tatsächlich eine vorsätzliche Rechtsverletzung im Raum steht; aus den Darstellungen der Antragstellerinnen ergibt sich nicht mit Blick auf die Begründungs- und Beweislast aus §§ 14 I Satz 2, 25 III Satz 1 OGG anhand substantiierter Ausführungen, dass Vorsätzlichkeit vorliegt.


    b) Mit Blick auf den Umstand, dass der bedingte Vorsatz - dolus eventualis genannt - als in der Regel ausreichend erachtet wird, um Vorsätzlichkeit für eine Tat begründen zu können (vgl. Krey/Esser, AT, Rn. 386., Satzger/Schmitt/Widmaier/Momsen, §§ 15, 16, Rn. 44.; S. auch Heinrich, AT, Rn. 285.), erscheint es wenigstens notwendig, das Vorliegen eines solchen bedingten Vorsatzes in substantiiert-plausibler Art und Weise darzulegen, um eine Antragsbefugnis begründen zu können. Jeden Falles fehlt es an einer solchen Darstellung.


    3. Schon auf Grund der Begründungsmängel sind alle Anträge als unzulässig anzusehen und dementsprechend zu abzulehnen.


    IV.


    Mithin sind die Anträge zu 1. b) und 2. b) aus anderweitigem Grunde, nämlich auf Grund von Erledigung, unzulässig. Das Oberste Gericht kann die Antragsgegnerin in einem Bundespräsident*innenanklageverfahren logischerweise nicht mehr für des Amtes verlustig erklären, wenn diese bereits aus anderweitigem Grunde aus dem Amt geschieden ist.


    Zwar statuiert Artikel 61 II Satz 1 GG grundsätzlich die Möglichkeit, die Antragsgegnerin im Rahmen der vorliegenden Verfahrensart für des Amtes verlustig zu erklären, solange dem bestimmte Umstände effektiv nicht vorweggreifen. Das Oberste Gericht kann die Antragsgegnerin im vorliegenden Falle nicht für des Amtes verlustig erklären. Ihr Amtsverhältnis als Bundespräsidentin der Bundesrepublik Deutschland fand am 08. April 2021 bereits seine Beendigung. Damit kann Oberste Gericht die durch die Antragstellerinnen begehrte Rechtsfolge nicht mehr bewirken, da es logischerweise mit der Beendigung des Amtsverhältnisses nicht mehr verfügen kann, dass die Antragsgegnerin ihres Amtes verlustig ist (vgl. etwa OGE 3, 43 <48>), wurde das Erwirken der begehrten Rechtsfolge doch bereits durch anderweitige Umstände vorweg genommen. Die Anträge zu 1. b) und 2. b) haben somit - unabhängig von dem Ausgang der Entscheidung zu den Anträgen zu 1. a) und 2. a) ihre Erledigung gefunden.


    C.


    Obiter dictum ist das Nachfolgende anzumerken:


    Damit ein Antrag im Zuge eines Verfahrens nach Artikel 61 GG begründet ist, muss einerseits eine Verletzung der Antragsgegnerin gegen das Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht, andererseits der Vorsatz zur Rechtsverletzung vorliegen. Jedoch ist nicht jedwede Rechtsverletzung geeignet, eine Verurteilung zu rechtfertigen. Für die Beurteilung, welche Rechtsverletzungen in Betracht kommen, taugliche Grundlage für eine Verurteilung darzustellen, ist grundsätzlich ein besonders strenger Maßstab anzulegen (2.) Das Grundgesetz ist vorliegend im Lichte des Artikel 20 II GG auszulegen.


    1. Zunächst muss für eine Verurteilung überhaupt eine Verletzung des Grundgesetzes oder von Bundesrecht im Raume stehen; anderenfalls kommt ein Schuldspruch grundsätzlich nicht in Betracht. Solcherlei Rechtsverletzungen müssen nicht zwangsläufig mit dem Amt der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten verbunden sein. Dass eine solche Rechtsverletzung nicht mit dem Amt der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten in Verbindung steht, ist für die Möglichkeit einer Verurteilung unschädlich. Jedoch kommt hiermit nicht jedwede Rechtsverletzung als taugliche Grundlage für eine Verurteilung in Betracht (2.).


    2. An die Begründetheitsvoraussetzungen aus Artikel 61 II Satz 1 GG in Verfahren nach Artikel 61 GG ist grundsätzlich ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt insbesondere für die Arten von Rechtsverletzungen, die eine taugliche Grundlage für eine Verurteilung darzustellen vermögen. Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG ist im Lichte des Artikels 20 II GG auszulegen.


    a) Dass strengere Maßstäbe von Nöten sind, ist mit der Eröffnung möglicher Rechtsfolgen und dem gravierenden Eingriff in die Kompetenzen der Bundesversammlung als nichtständiges Verfassungsorgan zu begründen. Nach Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 2 GG wird durch eine Verurteilung die Möglichkeit der Rechtsfolge einer Amtsenthebung der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten als Antragsgegnerin beziehungsweise Antragsgegner eröffnet.


    aa) Der Grundgesetzgeber hat in Artikel 20 II GG den Grundsatz der organisatorischen und funktionellen Unterscheidung sowie die Trennung der rechtsprechenden, der ausführenden und der legislativen Gewalt normiert.


    (1) Dieser Grundsatz ist vor allem als Verteilung von Kompetenzen und Macht zu verstehen, da die Staatsgewalt als solche nicht geteilt wird. Sie dient der Verteilung von politischer Macht und Verantwortung sowie der Kontrolle der Machtträger; sie zielt auch darauf ab, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen, und sie will auf eine Mäßigung der Staatsgewalt insgesamt hinwirken (vgl. BVerfGE 68, 1 <87 ff.>; OG, Beschluss des Dritten Senats vom 30. Mai 2022 – 3 BvE 1/21; Ernst-Wolfgang Böckenförde: Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Josef Isensee, Paul Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 2004, § 24 Rn 87; Friedrich E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig GG, Art. 20, Rn 41; Klaus Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 533; m. w. N.). Der Bedeutung jenes unveränderlichen Grundsatzes verleiht der Grundgesetzgeber durch Einbezug in die in Artikel 79 III GG normierte Ewigkeitsklausel Ausdruck. Diese Ausgestaltung der Gewaltenteilung als Kompetenzverteilung ist auch vor dem in Artikel 20 I GG normierten Demokratieprinzip unabdingbar:


    (2) Durch die Funktion der Mäßigung der Staatsgewalt und der strengen Kompetenzverteilung soll dem Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Rechnung getragen werden. Ziel dieser Norm ist es, zu verhindern, dass zu viel Macht auf einen geringen Kreis an Kompetenzträgern konzentriert wird. Die Konzeption der Verfassung liegt der Idee eines 'Nie Wieder' nach der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus' zu Grunde. Idee war und ist es, Einfluss zu verteilen und so Willkür zu verhindern sowie konsequenten Schutz der Grundrechte und der Idee eines demokratischen Rechtsstaates zu gewährleisten.


    (3) Vor diesem Hintergrund ist ein Eingriff in diese Kompetenzabgrenzung nur ausnahmsweise zulässig. Solche Ausnahmen sind bei Vorliegen wichtiger Gründe gegeben – etwa zur Sicherung von Recht oder zur Verhinderung von Gewalt.


    bb) Eine Verurteilung der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten in einem Verfahren nach Artikel 61 GG stellt in Anbetracht dessen, dass hiermit normalerweise die Möglichkeit der Rechtsfolge einer Amtsenthebung aus Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 2 GG eröffnet wird, die Eröffnung der Möglichkeit eines schwerwiegenden Eingriffes in die Kompetenzen anderer Bundesorgane, namentlich die der Bundesversammlung, dar. Nach Artikel 54 I Satz 1 GG wird die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident durch Wahl durch die Bundesversammlung, ein nichtständiges Verfassungsorgan, bestimmt. Eine Amtsenthebung würde die Entscheidung der Bundesversammlung, welche Person das Amt des Staatsoberhauptes der Bundesrepublik Deutschland in der darauffolgenden Amtszeit ausüben soll, in drastischem Maße tangieren und ist somit als gravierender Eingriff in die Kompetenzen der Bundesversammlung zu verstehen, der keineswegs leichtfertig erfolgen darf.


    b) Würde der notwendige und erwähnte strenge Maßstab nicht angewandt, so würde, wie ausgeführt, der Notwendigkeit des Hochhaltens der Gewaltenteilung als ein wesentliches Prinzip des Staatsaufbaus der Bundesrepublik Deutschland nicht Rechnung getragen.


    Dementsprechend kommt nicht jedwede Rechtsverletzung in Frage, taugliche Grundlage für eine Verurteilung darzustellen. Zwar muss sie nicht aus dem Bekleiden des Amtes der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten erwachsen, jedoch muss diese von dermaßen schwerem Gewicht sein, dass diese mit Blick auf das Vertrauen in die Demokratie, die Institutionen des demokratischen Staates und in das Staatsoberhaupt kaum zu vernachlässigen ist oder dass diese gravierenden Einfluss auf das Funktionieren des demokratischen Systems und gegebenenfalls auf den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat. Das vermag etwa bei der Umsetzung von Entscheidungen demokratisch legitimierter Staatsorgane oder bei Tangieren von demokratisch legitimierten Staatsorganen oder aber bei Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit von Menschen regelmäßig der Fall zu sein.


    3. Der Umstand, dass eine Amtsenthebung ausscheidet, ist in Verfahren nach Artikel 61 GG für die Möglichkeit eines Erfolges eines Antrages auf Feststellung einer vorsätzlichen Verletzung von Bundes- oder Verfassungsrecht unschädlich: Für das Gericht ist mit Blick auf den Gleichheitssatz aus Artikel 3 I GG nicht ersichtlich, weswegen auf Grund bloßer Erledigung der Möglichkeit einer Amtsenthebung durch zeitlichen Verzug andere Kriterien hinsichtlich der Bewertung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen aus Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG erfüllt sind, angewendet werden sollten, zumal es sich bei den Gründen, aus denen heraus das Gericht die Möglichkeit einer Amtsenthebung verneint, um solche handelt, die das Gericht nicht beeinflussen kann.


    D.


    1. Die Verfahren 3 BvD 1/21 und 3 BvD 2/21 wurden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Sowohl Bundesrat als auch Bundesrat als Antragstellerinnen in den beiden Verfahren verfolgen nahezu identische Begehren gegenüber dieselbe Antragsgegnerin, sodass es für das Gericht sinnvoll erscheint, beide Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden, während es keine Förderlichkeit darin sieht, über nahezu die gleiche Frage in zweierlei Verfahren getrennt zu entscheiden.


    2. Auf mündliche Verhandlung wurde verzichtet, nachdem den Beteiligten eine Frist gesetzt wurde, bis zu deren Verstreichen eine solche mündliche Verhandlung eingefordert werden konnte (vgl. OG, Hinweisbeschluss vom 03. Juni 2022 - 3 BvD 1/21, 3 BvD 2/21). Hierauf wurde verzichtet.


    3. Die Entscheidung erging einstimmig und ist unanfechtbar.



    Christ-Mazur | Neuheimer | Thälmann | Siebert

    Nun, es könnte schon sein, dass die Präferenzen hinsichtlich des Bürgermeisters und dessen Senatoren abweichen können.


    Ich hätte zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine weiteren Fragen mehr. Sind die Beteiligten gewillt, sich gegenseitig untereinander Fragen zu stellen? Oder besteht anderweitiger Redebedarf? Eine kurze Rückmeldung, ob Fragen offen sind, wäre wünschenswert - hierum wird gebeten.


    Dr. Joachim Holler

    Jacob Kuehl

    Hajime Nagumo

    Ach ja, bevor ich es vergesse:


    Sollte es der Gesetzgeber wirklich beabsichtigt haben, das Quorum herunterzusetzen, welcher Zweck könnte hier dahinterstecken, Herr Kuehl? ( Jacob Kuehl) Und woran machen Sie fest, dass die Nichterwähnung eines Quorums in der Vorschrift planvoll war?

    Ist es also in Hamburg nicht eher eine Tradition die Bestätigung des Senats zu vollziehen, als eine Gewährleistung einer handlungsfähigen Regierung? Wenn der Erste Bürgermeister keine Mehrheit hinter sich hätte, wieso wurde er dann kurz vorher gewählt und schlägt dann seine Senatsmitglieder vor?

    Welche Funktion dürfte die Norm denn dann haben?

    Vielen Dank, Herr Kuehl. Wichtiger Dreh- und Angelpunkt dieses Verfahrens ist die Frage, ob der Gesetzgeber willens war, das Mehrheitsquorum herabzusetzen, oder ob es möglich ist, dass die Nichterwähnung eines Quorums in der einschlägigen Norm planwidrig erfolgt ist. Das ist anzunehmen, wenn es der Gesetzgeber schlichtweg übersehen hat, eine einschlägige Regelung zu treffen, dies aber getan hätte, wenn er dergleichen bedacht hätte. Wenn der verfassungsändernde Gesetzgeber bewusst eine explizite Erwähnung des Quorums im Wortlaut zur Anwendung von Artikel 19 HV weggelassen hat, würde die Analogie als in der ständigen Rechtsprechung anerkannte Auslegungsmethode, wie sie die Antragstellerinnen und Antragsteller begehren, anzuwenden, ausscheiden. Schließlich ist die Judikative nicht rechtsetzend, sondern rechtsprechend, und hat im Zuge der Auslegung im Sinne der Gewaltenteilung die gesetzgeberische Entscheidung zu respektieren.


    Aus diesem Grund würde ich einfach mal beginnen, zu fragen: Herr Holler ( Dr. Joachim Holler), woran machen Sie fest, dass es der gesetzgeberische Wille nicht war, das Mehrheitsquorum herabzusetzen, wenn man so will? Könnten Sie das einmal bitte substantiiert darlegen?


    An Herrn Kuehl ( Jacob Kuehl): Herr Holler hat ausgeführt, es sei Telos, also Sinn und Zweck, der einschlägigen Vorschriften, eine handlungsfähige Regierung zu gewährleisten, weswegen der fraglichen Norm, um deren Auslegung es hier geht, besonderer verfassungsrechtlicher Status, wenn man so will, zukomme. Wie sehen Sie das? Ist es Telos der Norm, eine handlungsfähige Regierung hervorzubringen und zu gewährleisten?