NZ | Auf ein Kiezgedeck mit Ernesto B. Dutschke

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Auf ein Kiezgedeck mit
Ernesto B. Dutschke

Auf ein Getränk mit Dagmar Sonntag I


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Bundesinnenminister Dutschke


Guten Tag Herr Bundesinnenminister, die wichtigste Frage vorab: Was trinken wir heute?


Da wir uns im von Hans Alberts besungenen Herzen von Sankt Pauli befinden, wo sich im Übrigen

auch das Herz unserer Hamburgischen Kernwählerschaft befindet, habe ich mich stilecht für ein Kiezgedeck entschieden.


Und was ist das?


Ein Kiezgedeck, Frau Sonntag, ist ein kleines Astra Urtyp (eine sogenannte Knolle) und ein Mexikaner (ein auf Chilli und Tomatensaft basierender Schnaps).

Das trinkt jung und alt hier auf unserem Kiez.


Ich dachte ja immer auf St. Pauli würde man Rotlicht trinken...


Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Rotlicht ist ein Starkbier. Daher sieht man häufig Touristen damit herumlaufen, die ihr Geld für anderweitige Kiezaktivitäten aufsparen wollen.


Achso, wieder etwas dazu gelernt.

Sie sagten schon häufiger, dass Sie im Umfeld des Kiezes aufgewachsen sind. Wie hat Sie das geprägt?


Mein Vater war Hafenarbeiter und meine Mutter arbeitete in Altona in einem Eine-Welt-Laden.

Auch wenn es mir so an nichts gemangelt hat, habe ich in meiner Kindheit viel Zeit auf den Straßen Altonas verbracht, da meine Eltern arbeiten waren.

Mein Vater hat mich an seinen freien Tagen häufig mit in den Pub auf die Reeperbahn genommen, weil er dort ohne Vorverurteilung Englisch sprechen konnte.

Ich erinnere mich noch daran, dass der Kiez mit all seiner Diversität, seinen bunten Farben und Lichtern und all seinen einzigartigen Persönlichkeiten mich als kleiner Junge schon in einen magischen Bann versetzt hat.

Ich stelle mir das aber auch ein bisschen komisch vor, wenn ein Kind schon in so frühem Alter mit den Schattenseiten der Reeperbahn konfrontiert wird, wie Prostitution, Drogen und Gewalt.

Wie waren da Ihre Erlebnisse?


Das Thema Prostitution und Sexarbeit habe ich als Kind gar nicht so wahr genommen. Für mich waren das einfach die schönsten Frauen, die ich mir vorstellen konnte, neben meiner Mutter natürlich.

*grinst und überlegt dann kurz*

Wissen Sie, mein Vater ist POC (Anm. d. Red.: People of coulor) und als Migrantenkind hatte man im Hamburg der späten 80er Jahre schon früh mit Themen wie strukturellem Rassismus und sozialer Gewalt zu tun. Ich habe es nie verstanden, warum mein Vater kein echter Hamburger sein sollte, denn für mich war und ist er der Mensch, den ich am meisten mit dieser Stadt verbinde.

Ich habe es nie verstanden, warum es für uns schwieriger war eine Wohnung zu finden oder warum es bei manchen Lehrern in der Grundschule – ich benutze bewusst nur die männliche Form – besser war, wenn mein Vater nicht mit zum Elternsprechtag kam.

Mein Vater hat in diesem Zusammenhang aber nie Schwäche gezeigt gegenüber mir und war immer der stärkste und stolzeste Mann den ich mir vorstellen konnte. Erst nach seinem Tod hat meine Mutter mir erzählt, wie sehr es in traurig gemacht hat, wenn seine Kinder, durch sein „anders sein“ benachteiligt wurden.


Sind Sie deshalb in die Politik gegangen?


Ich glaube das waren viele Punkte die zusammengeführt haben. Einerseits war es natürlich, die von mir wahrgenommene soziale Ungerechtigkeit und Ausgrenzung, aber andererseits auch das politische Umfeld Hamburgs der 90er und frühen 2000er.

Die Schill-Kampange und der Kampf um Bambule und andere linke Zentren hat mich dann mehr und mehr dazu bewegt, selber aktiv zu werden.

Bevor ich aber parteipolitisch aktiv war, habe ich mich viele Jahre in verschiedenen antifaschistischen, antikapitalistischen und globalisierungskritischen Bündnissen engagiert.

Das war eine gute Vorbereitung für die ganz große Bühne der Politik.


Diese ganz große Bühne haben Sie dann, zumindest was die deutsche Politik betrifft, letztes

Jahr betreten, als Sie die Internationale Linke gegründet haben.


Genau.


Gerade in den letzten Wochen waren Mitglieder Ihrer Partei häufig verbalen Anfeindungen und Vorwürfen wie „Mauerschützenpartei“ ausgesetzt.

Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?


*lehnt sich entspannt zurück und nimmt einen Schluck Bier*

Ich bin nun seit über einem Jahr Bundesvorsitzender der Internationalen Linken, da muss man sich viel anhören. Auch wenn mich manche Neologismen sehr amüsieren, so gibt es wenige Vorwürfe, die mir an die Leber gehen.

Schauen Sie, viele, der von Ihnen angesprochenen Vorwürfe zeigen, dass sich diejenigen die uns am lautesten angreifen, sich am wenigsten mit unserer Partei oder unseren Inhalten auseinander gesetzt haben.

Wer uns wirklich als SED oder ähnliches bezeichnet hat so viel Ahnung von deutscher Geschichte, wie der Hund vom Eierlegen und solche Vorwürfe kann und will ich nicht ernst nehmen.


Und trotzdem hat sich erst gestern Ihre Co-Vorsitzende im Bayrischen Landtag zum Sozialismus bekannt.


Ja und in der Reaktion darauf ist der zweite große Denkfehler. Der Sozialismus als Grundidee hat als Pfeiler die Punkte Solidarität, Gleichheit und Gerechtigkeit. Wer in diesem Punkten etwas schlechtes sieht, dem kann ich auch nicht mehr helfen.

Was wir, als I:L, als Sozialismus sehen, ist nicht etwa die Abschaffung des Parlamentarismus oder der Demokratie, sondern die Überwindung der durch den Kapitalismus hervorgerufenen Übel, wie sozialer Ungerechtigkeit, Ausgrenzung oder Diskriminierung.

Ganz im Gegenteil, wir wollen die Demokratie und die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger noch mehr fördern und fordern.

Wir wollen faire Chancen für Jede und Jeden ermöglichen und das nicht nur für eine kleine von der Partei ausgewählte Elite.

Diese ganzen Punkte unterscheiden unsere Vorstellungen vom Sozialismus von den sogenannten staatssozialistischen Vorstellungen von Schreckensregimen wie der UdSSR, der DDR, der Volksrepublik China oder Nordkorea.


Bleiben wir noch einen Moment in Bayern

Wie bewerten Sie die neue Bayrische Landesregierung?


Was soll ich da bewerten?

Soll ich mich dazu äußern, wie unglaublich widerlich und verletzend diese Rhetorik ist?

Soll ich mich dazu äußern, wie absolut lachhaft die geplanten Vorhaben sind und wie sehr sie gegen geltendes Bundesrecht verstoßen?

Oder soll ich mich dazu äußern wie unglaublich fraglich ich es finde, dass Allianzler aus dem gesamten Bundesgebiet nach Bayern umsiedeln um Buschwa zum MP zu wählen, weil die Bayrische Basis ihm in Scharen davon rennt?

Als Bundesinnenminister achte ich genau darauf, was in Bayern passiert und davon abgesehen möchte ich mich zu solch abscheulichen Äußerungen gar nicht äußern, da ich ihnen sonst eine Plattform schenken würde.


Ok, ich verstehe schon, wechseln wir das Thema:

Die I:L wächst und wächst. Können wir uns irgendwann auf einen Kanzler Dutschke freuen?


*lacht*

Ich glaube spätestens dann würde in Bayern über die Unabhängig von der Bundesrepublik nachgedacht.

Ob das jeden traurig stimmen würde, sei aber mal dahin gestellt.


Bevor ich jetzt diesen Schnaps trinke, möchte ich mich bei Ihnen für das angenehme Gespräch bedanken, Herr Bundesminister. Prost!


Danke auch an Sie Frau Sonntag. Ich fand es auch sehr angenehm und freue mich auf das nächste Gespräch mit Ihnen


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In Sachen Getränkeauswahl bleibt sich der Bundesinnenminister treu

Kommentar Dagmar Sonntag


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"Das Gespräch mit dem Bundesinnenminister hat mir verdeutlicht, dass man sich manchmal auch die Geschichte hinter einer Person anhören muss, um sich ein ganzheitliches Urteil erlauben zu können"


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Impressum

Norddeutsche Zeitung
30169 Hannover

Chefredakteurin: Dagmar Sonntag

    Kommentare 10

    • Es kommt mir übel auf wie der Sozialismus hier beschrieben wird.

      Der Herr sollte wissen das auch die Sowjets und SEDler anfangs eben von diesen utopischen Ideen getrieben wurden und schließlich in Diktaturen endeten.

      Jedoch zeigt es auch ganz gut wiso jeder, der sich gemäßigt oder konservativ sieht, nicht mit der IL zusammenarbeiten darf.

      • Wohl doch kein Geschichtsverständnis Herr Knoller.

        Die Bolschewisten waren nur ein kleiner Teil der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, die sich zunehmend radikalisiert haben.
        Ihr Ziel war es den Zaren durch eine "demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauer" zu ersetzen. Auch wenn die Ziele 1917 neu formuliert wurden, so wurde von Anfang an die Einführung einer Diktatur gefordert.

        Die I:L fordert nicht die (gewaltsame) Abschaffung des aktuellen Systems, sondern identifiziert sich ohne wenn und aber mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

        Und zur SED:
        Jeder Mensch in Deutschland sollte wissen wie und wieso die SED zustande gekommen ist. Das war keine eigenständige Partei, sondern nur ein Schosshündchen der KPdSU.

      • Wer sich zur fdGO bekennt, kann nicht für ein sozialistisches System eintreten.

      • @Augstein

        Wie kommen Sie zu dieser steilen These?

      • Die vom Sozialismus erstrebte Ergebnisgleichheit in allen Lebensbereichen negiert die Individualität des Menschen und ist mit dem Menschenwürdegehalt des Grundgesetzes unvereinbar.

      • und wieder versucht uns die Allianz von außen aufzuzwingen was wir fordern...
        Einfach nur noch öde...

    • Ein sehr schönes Format! Gerne mehr davon!

      • Wir danken für das Lob und spoilern schon einmal ein bisschen, indem wir bekannt geben, dass mehrere Fortsetzungen des Formats in Arbeit sind.

    • Mega! Sowas gern öfters in Zukunft! Erinnert mich an Krömer.