4 BvQ 1/22 - Erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in Sachen Kanzlei von Gierke PartG mbB ./. RA Mielke

  • OBERSTES GERICHT

    – 4 BvQ 1/22 –


    742-bverfgf-png


    Im Namen des Volkes



    In dem Verfahren
    über die Anträge,

    im Wege der einstweiligen Verfügung,


    1. es dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, sich wie nachstehend wiedergegeben zu äußeren beziehungsweise äußern zu lassen: "Es werden bevorzugt Mandanten mit korrekter ideologischer Gesinnung angenommen. Eine rechtliche Erstberatung, sowie die Vertretung von Personen mit einem Bruttomonatsgehalt von unter 4000 Euro werden gratis vorgenommen.", wie in dem Kanzleiauftritt vom 25.11.2022, abrufbar unter Anwaltskanzlei Roter Stern, geschehen.


    2. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahren aufzuerlegen,


    Antragstellerin:
    Kanzlei von Gierke und Partner PartG mbB


    - Prozessbevollmächtigter: Herr Rechtsanwalt Roland von Gierke


    Antragsgegner:

    Herr Rechtsanwalt Rainer Maria Mielke



    hat das Oberste Gericht – Vierter Senat – unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


    Präsidentin Christ-Mazur,


    Vizepräsident Müller,


    Neuheimer,


    Langenfeld


    am 10. Februar 2023 beschlossen:


    1. Dem Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt, sich im Wortlaut oder dem Sinne nach wie folgt zu äußern oder äußern zu lassen: "Es werden bevorzugt Mandanten mit korrekter ideologischer Gesinnung angenommen. Eine rechtliche Erstberatung, sowie die Vertretung von Personen mit einem Bruttomonatsgehalt von unter 4000 Euro werden gratis vorgenommen.".


    2. Dem Verfügungsbeklagten wird für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1. ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro angedroht.


    3. Der Antrag auf Androhung einer Ordnungshaft bei Zuwiderhandlung wird als unzulässig abgewiesen.


    4. Der Streitwert wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.


    5. Der Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.


    Gründe:


    A.


    Die Verfügungsklägerin, eine Rechtsanwaltskanzlei, wendet sich mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den öffentlich einsehbaren Kanzleiauftritt des Verfügungsbeklagten, der selbst ebenfalls als Rechtsanwalt tätig ist und somit in Wettbewerb zu der Verfügungsklägerin steht. Sie macht gegenüber dem Verfügungsbeklagten wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 03. März 2010 (BGBl. I S. 254), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 18. April 2019 (BGBl. I S. 466) geltend.


    I.


    Am 25. November 2022 hat sich der Verfügungsbeklagte, mithin als Rechtsanwalt tätig, mit Informationen über seine Tätigkeit als Rechtsanwalt an die Öffentlichkeit gewandt. Auf jenem Kanzleiauftritt hat der Verfügungsbeklagte sich wie folgt geäußert oder äußern lassen: "Es werden bevorzugt Mandanten mit korrekter ideologischer Gesinnung angenommen. Eine rechtliche Erstberatung, sowie die Vertretung von Personen mit einem Bruttomonatsgehalt von unter 4000 Euro werden gratis vorgenommen."


    II.


    1. Der Verfügungskläger macht einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch nach § 3a UWG, § 8 I UWG, § 8 III Nr. 1 UWG geltend. Zur Begründung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung führt er im Wesentlichen aus, das Sachlichkeitsgebot aus § 43b BRAO sowie das grundsätzliche Verbot des Verlangens niedrigere Gebühren, als durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorgesehen - dies sei nur im EInzelfall zulässig -, stünden der Art und Weise der Ansprache potenzieller Mandanten durch den Verfügungsbeklagten über dem Kanzleiauftritt entgegen. Der Verfügungsgrund sei nach § 12 I UWG im Zuge der widerleglichen Dringlichkeitsvermutung ex ante als gegeben anzusehen.


    2. Nach Auffassung des Verfügungsbeklagten sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzulehnen, habe dieser nämlich die streitgegenständlichen Äußerungen im Kanzleiauftritt doch entfernt. Der Verfügungskläger hat dem widersprochen; Ausräumen der Wiederholungsgefahr sei grundsätzlich nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung möglich. Nach weiterem Schriftverkehr gab der Verfügungsbeklagte eine einseitige Unterlassungserklärung ab, der der Verfügungskläger jedoch mit Verweis auf auf Provokation gerichtete Polemik und die Begrenzung des Tenors auf wortgleiche Verstöße widersprach.


    3. Der Verfügungskläger beantragt, den Anträgen stattzugeben. Der Verfügungsbeklagte hingegen beantragt, das Verfahren wegen Erledigung einzustellen.


    III.


    Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte verwiesen.


    B.


    Die überwiegend zulässigen Anträge (I.) sind begründet (II.)


    I.


    1. Das Oberste Gericht ist nach § 20 II Nr. 3 vDGB, § 6 II OGG und § 937 I ZPO zuständig. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sind statthaft. Die Antragstellerin macht Individualansprüche geltend, die nicht auf Geldzahlungen gerichtet sind. Die Antragstellerin ist nach § 50 I ZPO und § 7 II PartGG in Verbindung mit § 124 I HGB parteifähig; der Antragsgegner ist nach § 50 I ZPO und § 1 BGB parteifähig.


    2. Es liegen behaupteter Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund vor; die Antragstellerin hat hinreichend dargelegt, möglicherweise in ihren subjektiven Rechten verletzt zu sein und ist damit antragsbefugt (Möglichkeitstheorie). Ferner ist das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin gegeben. Sie hat ein berechtigtes Interesse daran, dass das vorliegende streitige Rechtsverhältnis alsbald durch richterliche Entscheidung geregelt wird.


    3. Der Antrag auf ersatzweise Androhung einer Ordnungshaft ist jedoch unzulässig, da diese nicht sinnvoll simuliert werden kann. Das Oberste Gericht ist nämlich dazu gehalten, staatliches Recht im Einklang mit den in der Simulation gegebenen Befindlichkeiten anzuwenden (vgl. 1 OGE 3, 11 <15>; 3, 30 <37f.>; 3, 95 <99>; 3, 106 <109>; 3, 131 <191, 194>; 2 OGE 1, 19 <23> m. w. N.; stRspr.). Mit einer Ordnungshaft ginge im SimOff eine zwangsläufige Einschränkung der Freiheit einer Person durch entsprechende Vollzugsbehörden einher, die jedoch in der Realität der Simulation nicht einschlägig greifen. Die einzig theoretisch denkbare Möglichkeit wäre das Verhängen einer Sperre, die ihre gesetzlichen Grundlagen jedoch nicht im SimOn-Recht findet. Entsprechend ist der Antrag auf ersatzweise Androhung einer Ordnungshaft unzulässig.



    II.


    1. Nach § 18 I OGG, § 12 I UWG kann das Oberste Gericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile - etwa die Vereitelung oder Erschwerung der Verwirklichung des in der Hauptsache geltend zu machenden Rechts -, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Voraussetzungen sind einerseits ein Verfügungsanspruch, der auf die vorläufige Befriedigung des Verfügungsklägers gerichtet ist, andererseits ein Verfügungsgrund (3.). Diese sind vorliegend gegeben.


    2. Der Verfügungsanspruch ist gegeben.


    a) Wiederholungsgefahr ist gegeben.


    Die Gefahr der erneuten Begehung einer rechtsverletzenden Handlung - die Begehungsgefahr ist Voraussetzung eines jeden Unterlassungsanspruches - ist bereits durch das erstmalige Vornehmen der streitgegenständlichen Äußerungen indiziert und konnte vorliegend nicht ausgeräumt werden. Der Umstand, dass der Verfügungsbeklagte die streitgegenständlichen Äußerungen aus seinem Kanzleiauftritt entfernt hat, begründet nicht das Ausräumen der Wiederholungsgefahr. Hieran müssen höhere Anforderungen gestellt werden.


    aa) Durch die Aufgabe des rechtsverletzenden Verhaltens entfällt die Wiederholungsgefahr grundsätzlich nicht. Die aus einem früheren rechtswidrigen Handeln erfahrungsgemäß abgeleitete ernsthafte Besorgnis, dass der Verletzer auch weiterhin in gleicher Weise handeln wird, endet daher im Allgemeinen nicht aufgrund der Aufgabe der Betätigung, in deren Rahmen die Verletzung erfolgt ist (vgl. BGH, Urteil vom 02.10.2012, I ZR 82/11, Tz. 58 - Völkl, m. w. N.). Solange nicht auch jede Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme ähnlicher Tätigkeiten durch den Verletzer beseitigt ist, ist das Fortbestehen der Wiederholungsgefahr indiziert. Regelmäßig kann die indizierte Wiederholungsgefahr nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.1992 - I ZR 84/90, GRUR 1992, 318, 319 f. = WRP 1992, 314 - Jubiläumsverkauf, m. w. N.).


    bb) Gleichwohl ist die durch den Verfügungsbeklagten abgegebene "Unterlassungserklärung", die jener, nachdem der Verfügungskläger seine Rechtsauffassung, dass nur durch eine solche die Wiederholungsgefahr ausgeräumt werden könne, dargelegt hat, nicht geeignet, das Ausräumen der Wiederholungsgefahr zu begründen.


    (1) (aa) Nach ständiger Rechtsprechung kann der Verletzer die durch einen Wettbewerbsverstoß begründete Vermutung der Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur dadurch ausräumen, dass er gegenüber dem Gläubiger des Unterlassungsanspruchs eine uneingeschränkte, bedingungslose und durch ein Vertragsstrafeversprechen angemessen zu sichernde Unterlassungsverpflichtung eingeht (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.1987, Az. I ZR 153/8, GRUR 1987, 748, 749 = WRP 1987, 724, 725 – Getarnte Werbung II; stRspr.). Eine vom Schuldner abgegebene einseitige strafbewehrte Unterlassungserklärung lässt, wenn sie ernsthaft ist, inhaltlich auch den an eine solche Erklärung zu stellenden Anforderungen entspricht und auf das Vorhandensein eines Rechtsbindungswillens schließen lässt, die Wiederholungsgefahr unabhängig von einer Annahmeerklärung des Gläubigers und daher gegebenenfalls auch schon vor einer solchen entfallen.


    (bb) Ob ein Rechtsbindungswille vorhanden ist, ist nicht nach dem nicht in Erscheinung getretenen inneren Willen des Leistenden zu beurteilen, sondern danach, ob der Leistungsempfänger unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste. Es kommt darauf an, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden darstellt (§ 157 BGB).


    (2) Nach diesen Maßstäben ist die Frage, ob dem Verfügungsbeklagten im Zuge des Abgebens seiner "Unterlassungserklärung" ein Rechtsbindungswille zuzurechnen ist, zu verneinen. Diese ist polemisch gehalten und evident auf Provokation gerichtet; dem Verfügungskläger wird implizit unterstellt, er richte sich gegen das sogenannte "Menschenwohl". Zudem stellt die abgegebene Erklärung nicht auf vergleichbare Verstöße ab, sondern nur die durch den Verfügungsbeklagten bei Erstverstoß verwendete Formulierung. Insoweit ist nicht davon auszugehen, dass der Verfügungsbeklagte gewillt ist, sich ernsthaft zur Unterlassung zu verpflichten; die Wiederholungsgefahr bleibt somit nach wie vor indiziert.


    b) Nach vorläufiger summarischer Prüfung der Sachlage steht der Verfügungsklägerin ein Unterlassungsanspruch aus § 8 I UWG, § 8 III Nr. 1 UWG, § 3 UWG, § 3a UWG in Verbindung mit § 4 RVG, § 43b und § 49b BRAO zu.


    aa) Der Kanzleiauftritt des Verfügungsbeklagten ist auf den Gewinn von Mandanten gerichtet und stellt somit eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 I Nr. 2 UWG dar. Hinweise des Verfügungsbeklagten, es würden grundsätzlich kostenlose rechtsanwaltliche Dienstleistungen für bestimmte Einkommensgruppe angeboten, sind mit § 49b BRAO nicht zu vereinbaren; § 49b I Satz 2 BRAO erlaubt Unterschreitungen der normierten Mindestsätze hinsichtlich der Gebühren für rechtsanwaltliche Dienstleistungen nur im Einzelfall (!) - ein dem zuwiderlaufendes allgemeines Angebot kostenloser rechtsanwaltlicher Dienstleistungen für Personen bestimmter Einkommensgruppen ist somit evident unzulässig; nichts anderes ergibt sich aus § 4 RVG. Ferner liegt auch ob der umgangssprachlichen, preisbezogenen Ansprach ("gratis") ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot aus § 43b BRAO vor.


    bb) Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) sind Normen, die im Sinne von § 3a UWG wettbewerbssteuernd wirken und die Stellung des Rechtsanwalts als "unabhängiges Organ der Rechtspflege" (§ 1 BRAO) sichern sollen. Wie der Verfügungskläger zutreffend ausführt, steht dem ein Weg "ungezügelten Preiswettbewerbs nach unten", wie in der Verfügungsbeklagte beschreiten wollte, entgegen Der Verfügungsbeklagte hat nach summarischer Prüfung der Sachlage gegen die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften verstoßen, was nach §§ 3a UWG, 3 I UWG unzulässig ist. Der Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers ergibt sich aus §§ 8 I UWG, 8 III Nr. 1 UWG.


    3. Darüber hinaus liegt auch ein Verfügungsgrund vor.


    Ein Verfügungsgrund ist nicht schon deshalb gegeben, weil die Gefahr besteht, dass die zu unterlassen beantragte Handlung wiederholt werden könnte. Ein Verfügungsgrund ist nur dann festzustellen, wenn das Begehren des Verfügungsklägers dringlich ist und es ihm nicht zugemutet werden kann, den Weg des Hauptsacheverfahrens einzuschlagen und in diesem auf den Erlass eines Vollstreckungstitels zu warten. Ausnahmsweise ist das Darlegen dieser besonderen Eilbedürftigkeit nicht notwendig, wenn der Gesetzgeber vermutet, dass diese ex ante gegeben ist, was nach § 12 I UWG im Wettbewerbsrecht der Fall ist (vgl. insoweit auch OLG Celle, Urteil vom 31.07.2008, Az. 13 U 69/08). So liegt es hier.


    C.


    1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 II Satz 1 ZPO.


    2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO, § 51 II GKG.


    3. Gegen diesen Beschluss ist der Widerspruch nach § 18 III OGG zulässig. Dieser ist dem Gericht in schriftlicher Form zukommen zu lassen und soll eine Begründung unter Darlegung der Gründe, die für die Aufhebung geltend gemacht werden, enthalten. Eine Frist ist nicht einzuhalten. Die Gerichtssprache ist deutsch.


    4. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.



    Christ-Mazur | Müller | Neuheimer | Langenfeld

    Präsidentin des Obersten Gerichtes