Präsident des Deutschen Bundestages
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Sehr geehrte Kollegen und Kollegen,
über nachfolgenden Antrag wird für exakt zweiundsiebzig Stunden debattiert werden:
Alles anzeigenDeutscher Bundestag
Dreizehnte Wahlperiode
Drucksache XIII/XXX
Gesetzentwurf
des Abgeordneten Paul Fuhrmann
Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Betäubungsmittelrechts an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben
A. Problem und Ziel
Mit Urteil vom 26.02.2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht § 217 StGB a. F. für nichtig, weil die Strafnorm die Entscheidung Sterbewilliger für den eigenverantwortlichen Freitod in unzumutbarer Weise erschwerte. Ob die Neuregelung der geschäftsmäßigen Sterbehilfe den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, darf bezweifelt werden. Denn viel grundsätzlicher als die Einzelfallentscheidung zu § 217 StGB a. F. stellte das Bundesverfassungsgericht eine im Hinblick auf die Menschenwürde selbstverständliche Aussage heraus: Nicht der Suizident muss sich für seine Entscheidung rechtfertigen, sondern der Staat, wenn er die Möglichkeiten, den Freitod zu wählen, einschränkt. Aus der Menschenwürde, verstanden als unantastbarer Bereich personaler Autonomie, folgt unmittelbar das - im Kern unentziehbare - Recht, Zeitpunkt und Umstände des eigenen Tods zu wählen, ohne dass diese Entscheidung einer wie auch immer gearteten Plausibilitätskontrolle zugänglich wäre. Einzig und alleine die Freiverantwortlichkeit darf durch staatliche Stellen kontrolliert werden. Während der faktischen Geltung des § 217 StGB a. F. versuchten Sterbewillige über § 3 Abs. 1 BtMG eine Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital zu erwirken, um mit diesem Betäubungsmittel den Freitod zu wählen. Im Jahr 2017 erging das - inzwischen wohl überholte (dazu sogleich) - Urteil des Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 02.03.2017 - Az: 3 C 19.15), das einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer solchen Genehmigung in verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG als gegeben ansah, wenn eine schwere, unheilbare Krankheit vorlag, die einen erheblichen Leidensdruck verursacht, der Betroffene entscheidungsfähig war und eine andere, zumutbare Möglichkeit des Suizids nicht gegeben war. Im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgericht stellten sich sowohl das VG Köln (allerdings erst nach der Nichtannahme der erfolgten Richtervorlage gem. Art. 100 GG) und das OVG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 02.02.2022 - Az: 9 A 147/21) auf den Standpunkt, eine Erlaubnis im Sinne von § 3 Abs. 1 BtMG könne generell nicht erteilt werden, weil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme von geschäftsmäßig tätigen Sterbehilfeorganisationen bestünde eine zumutbare Alternative, die der Erlaubniserteilung entgegenstehe. Die Revision gegen diese Entscheidung ist derzeit anhängig.
Unabhängig davon, ob diese Interpretation des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG überzeugt oder nicht (kritisch etwa Neumann, in ZflStw 2022, 388, 393 ff), beruhen die Entscheidungen nach Ansicht des Antragstellers auf einer erstens unzureichenden Rezeption der verfassungsrechtlichen Vorgaben und zweitens fragwürdigen Annahmen tatsächlicher Art. Tragender Grund für die Rechtfertigung des zutreffend erkannten Eingriffs in das Persönlichkeitsrechts ist die Überlegung, dass die Erlaubniserteilung restriktiv gehandhabt werden müsse, um eine Normalisierung des Suizids zu verhindern und eine "Symbolwirkung" zu vermeiden, die nicht entscheidungsfähige Dritte zum Anlass nehmen könnten, selbst aus dem Tod zu scheiden, damit etwa nahe Angehörige sie nicht mehr als Belastung wahrnehmen würden. Damit wird zum einen impliziert, das Rechtsgut Leben sei ein von dem Willen des Rechtsgutsinhabers abstrahierter Wert an sich oder in den Worten des OVG Nordrhein-Westfalen ein "Rechtsgut (..) als solches" (Urteil vom 02.02.2022 - Az: 9 A 147/21 Rz. 80 ,- zitiert nach openjur). Letztendlich wird dem Betroffenen dadurch eine notstandsähnliche Pflicht zum Weiterleben, welche die Gerichte selbst zutreffend ablehnen, ohne allerdings die logischen Konsequenzen daraus zu ziehen, auferlegt. Zum anderen wird nicht hinreichend in den Blick genommen, dass die Entscheidungsfähigkeit eben durch Vorgaben im Verfahren der Erlaubniserteilung berücksichtigt werden können und im Rahmen der Amtsermittlung (§ 24 Abs. 1 VwVfG) durch das BfArM auch müssen.
Trotz der mittlerweile geschaffenen Möglichkeit, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, wiegt der Eingriff schwer. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist wie keine andere Ausprägung des Persönlichkeitsrecht mit den persönlichen Vorstellungen des Grundrechtsträgers verbunden. Diese rechtlich in besonders oder weniger schutzwürdige Belange zu kategorisieren, ist richtigerweise unstatthaft. Wie schon das Bundesverfassungsgericht klar zum Ausdruck gebracht hat, darf der Staat Suizidprävention betreiben und eine eng auf die Verstandsreife des Suizidenten beschränkte Kontrolle durchführen. Die Motive und gewünschten Umstände des Suizids entziehen sich demgegenüber jeder rechtlichen Bewertung. Vor diesem Verständnis wird auch deutlich, weshalb es ein anerkennenswertes Interesse gibt, eine Erlaubnis zum Erwerb von Betäubungsmitteln zu erhalten und nicht pauschal auf Sterbehilfevereine verwiesen zu werden. Durch die private Einnahme der hierfür entwickelten, todbringenden Betäubungsmittel kann den persönlichen Vorstellungen des Suizidenten umfassend Rechnung getragen werden.
B. Lösung
Das Betäubungsmittelgesetz wird um einen weiteren Erlaubnistatbestand ergänzt, der als lex specialis §§ 3, 5 BtMG verdrängt. Einzige Voraussetzung für den Erhalt der Erlaubnis ist die Ernsthaftigkeit des Todeswunsches sowie die nötige Verstandsreife (Entscheidungsfähigkeit im Sinne des Rechtsprechung des BVerwG). Die Erlaubniserteilung ist beschränkt auf solche Betäubungsmittel, die zur Durchführung des Suizids geeignet sind. Insoweit obliegt es dem BfArM solche Mittel auszuwählen, die den Tod in einer überschaubaren Zeit und ohne Schmerz herbeiführen wie das bei Natrium-Pentobarbital ganz überwiegend der Fall ist. Im Hinblick etwa auf unerträgliche Schmerzen oder befürchteten, unmittelbar bevorstehenden Krankheitsausbrüchen, die nicht selten zum "Verfall" der Selbstwahrnehmung führen, ist die Verfahrensbeschleunigung ein besonderes Anliegen des Gesetzesentwurfes. In den allermeisten der zu § 3 BtMG ergangenen Verfahren waren die Kläger aufgrund der langen Verfahrensdauer schon verstorben, bevor überhaupt eine Entscheidung getroffen werden konnte. In Abweichung zu § 68 VwGO ist ein Vorverfahren daher unstatthaft, so dass unmittelbar gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden kann.
C. Alternativen
Keine.
D. Kosten
Mit einem Anstieg der Verwaltungskosten kann gerechnet werden.
Anlage 1
Paul Fuhrmann