XIV/009 | Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Betäubungsmittelrechts an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben

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    Präsident des Deutschen Bundestages

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    Sehr geehrte Kollegen und Kollegen,

    über nachfolgenden Antrag wird für exakt zweiundsiebzig Stunden debattiert werden:

  • Herr Präsident,

    geschätzte Kollegen,


    die wesentlichen rechtlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich des Zugangs zu letal wirkenden Betäubungsmittel wurden im Antrag bereits zusammengefasst. Es ist unklar, ob sich das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung der Untergerichte anschließen oder an seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 2017 festhalten wird. Davon unabhängig ist eine gesetzliche Regelung dringend geboten. Es geht nämlich nicht an, die Rechtsprechung mit derart fundamentalen Fragen alleine zu lassen. Die Entscheidung aus dem Jahr 2017 kann man in diesem Zusammenhang auch als bewussten Kompromiss verstehen, der immerhin in weiten Teilen akzeptiert wurde. Bei lichter Betrachtung kann aber die Beschränkung des Zugangs zu Betäubungsmitteln für Fälle der unheilbaren, schweren Erkrankung keinen Bestand haben. Eine solche Einschränkung sieht auch der neugefasste § 217 StGB nicht vor.


    Trotz dieses Bemühens um einen einigermaßen konsensfähigen Maßstab wurde dieses Urteil in keinem einzigen Fall umgesetzt. Vielmehr hat sich das Bundesgesundheitsministerium unter Berufung auf ein in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, das diese Entscheidung im Ergebnis als Akt ultra vires bewertete, über das Urteil hinweggesetzt und einen umfassenden Nichtanwendungserlass zur Anwendung gebracht. Ein solches Vorgehen ist rechtsstaatlich unwürdig und zeigt jedenfalls dem Grunde nach gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf.


    Aus meiner Sicht ist der hier vorgelegte Entwurf konsequent: Er anerkennt das eigenständige Interesse der Betroffenen, ihren Tod nach ihren Vorstellungen auszugestalten. Die Prüfung des BfArM´s ist strikt auf die Entscheidungsfähigkeit und Ernsthaftigkeit des Entschlusses beschränkt. Zur Erläuterung des Verhältnisses dieser beider Kriterien sei folgendes gesagt: der Staat hat nicht nur eine Schutzpflicht zur Verhinderung des Suizids für Personen, die konstitutiv außer Stande sind, eine autonome Entscheidung zu treffen. Diese Schutzpflicht erstreckt sich vielmehr auch auf Personen, die grundsätzlich zur autonomen Entscheidung fähig, in der konkreten Situation die Reichweiten ihrer Entscheidung und die dazu führenden Beweggründe nur bedingt überblicken. Insoweit ist erforderlich, dass der Wunsch, das Leben zu beenden, voraussichtlich von Dauer ist. Es soll verhindert werden, dass Personen diesen Entschluss in einer depressiven Augenblicksstimmung fassen. Nichtig erscheinende Gründe wie Liebeskummer, Jobverlust oder allgemeine Unzufriedenheit begründen in aller Regel keinen ernsthaften Todeswunsch. Ebenfalls berücksichtigt werden können gegebenenfalls schon begonnene Therapien sowie das Lebensalter der betroffenen Person. Gerade bei sehr jungen Menschen ist die Ernsthaftigkeit des Entschlusses intensiv zu prüfen. Insoweit stehen dem BfArM die allgemeinen Möglichkeiten der Amtsermittlung zur Verfügung, § 24 VwVfG.


    Ein Vorverfahren bietet aus Sicht des Antragsstellers keinen zusätzlichen Nutzen, sondern verzögert eine abschließende Sachentscheidung und droht, die Zwecke des Suizids im Ergebnis zu vereiteln. Wenn ein Betroffener, wie dies in einer Entscheidung des OVG NRW der Fall war, beispielsweise befürchtet, dass ein Tumorrezidiv unmittelbar bevorsteht und er in diesem Fall mit schlimmsten Schmerzen zu rechnen hat, erscheint es nur allzu verständlich, dass eine zeitnahe Entscheidung über die Erlaubniserteilung erfolgen soll. In Abweichung von allgemeinen Regeln ist eine erstinstanzliche Entscheidung daher auch vorläufig vollstreckbar. Aus Sicht des Antragsstellers bietet auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine hinreichende Gewähr für den Schutz vor übereilten Suiziden.


    Einen typisierenden Schutz, um die Ernsthaftigkeit des Entschlusses sicherzustellen, bietet sodann § 3a Abs. 5 BtMG-E. Hiernach ist erstens eine Sperrzeit von zwei Wochen einzuhalten und zweitens ist die Tötung dann auch innerhalb von zwei Monaten durchzuführen. Wird die Erlaubnis nicht innerhalb dieses Zeitraums genutzt, so mag dies ein hinreichend gewichtiges Indiz dafür sein, dass der Entschluss nicht ernsthaft ist.


    Ich bitte um Zustimmung.