5 BvQ 1/22 - Abgelehnte Richterablehnungsgesuche im einstweiligen Verfügungsverfahren I:L Bayern ./. Bayerisches Staatsministerium für Volksbildung und Volkserziehung

  • OBERSTES GERICHT

    – 5 BvQ 1/22 –


    bverfgf.png


    In dem Verfahren
    über die Anträge,

    im Wege der einstweiligen Anordnung,



    1. dem Antragsgegner aufzugeben, den Vollzug des ‘‘Erlass[es] zur Wahrung des Schulfriedens und Eindämmung von verfassungsfeindlicher Propaganda an Bayerischen Schulen‘‘ abzubrechen und außer Kraft zu setzen,

    2. dem Antragsgegner aufzugeben, den Erlass vom 14. November 2022 außer Vollzug zu setzen,

    3. dem Antragsgegner aufzugeben, aus allen öffentlich einsehbaren Veröffentlichungen des Antragsgegners Textpassagen einstweilen zu entfernen, wo behauptet wird

    - die Antragstellerin habe in der Vergangenheit ihre Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und des Demokratie- wie Rechtsstaatsprinzips deutlich gemacht oder ihre Akzeptanz für diese - für die freiheitliche demokratische Grundordnung essentiellen - Prinzipien in Frage gestellt,
    - die Antragstellerin habe eine Ausrichtung, welche nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu vereinen sei,

    4. dem Antragsgegner bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von 10.000 € anzudrohen,

    5. dem Antragsgegner die Verfahrenskosten aufzuerlegen.



    Antragstellerin:
    Internationale Linke, Landesverband Bayern,
    vertreten durch Frau Kaja Sembrant, MdL


    - Prozessbevollmächtigter: Marius Wexler -



    Antragsgegner:

    Bayerisches Staatsministerium für Volksbildung und Volkserziehung,
    Salvatorstraße 2, 80333 München,
    vertreten durch die Staatsministerin, Frau Dr. Oxana Koslowska, MdL



    h i e r : Anträge auf Richterablehnung




    hat das Oberste Gericht – Fünfter Senat –

    unter Mitwirkung des Richters


    Neuheimer



    am 20. November 2022 beschlossen:



    Die Ablehnungsgesuche gegen den Richter Geissler und die Richterin Langenfeld werden abgelehnt.



    G r ü n d e :


    I.


    1. a) Der Antragsgegner begehrt die Ablehnung des Richters Geissler sowie der Richterin Langenfeld. Nach § 10 OGG sei ein Richter oder eine Richterin von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, wenn er oder sie an der Sache beteiligt oder in der Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig geworden sei; nicht beteiligt sei, wer aus einem allgemeinen Gesichtspunkt an dem Verfahrensausgang Interesse hat. Es bedürfe daher eines qualifizierten, über das Normale hinausgehenden, Interesses am Ausgang des Verfahrens.


    b) Es bestehe die Besorgnis, dass ein solches Interesse bei Richter Geissler bestehe, da er mit einem "Dislike" des streitgegenständlichen Beschlusses seine Missbilligung zum Ausdruck gebracht hätte und somit voreingenommen sein könnte.


    Gleiches gelte für Richterin Langenfeld, die ebenso ihre Missbilligung deutlich gemacht und sich - in Form eines sog. "Likes" - einer gerichtlichen Anfechtung gegenüber offen gezeigt habe.



    2. Richter Geissler hat sich in einer dienstlichen Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch geäußert. Er hält es für offensichtlich unzulässig, da das Vorbringen des Antragsgegners lediglich Ausführungen enthalte, die zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind (vgl. BVerfGE 142, 1 <4 Rn. 12>; 152, 53 <54 Rn. 2>; 153, 72 <73 Rn. 2>; stRspr). Jedenfalls sei das Ablehnungsgesuch aber unbegründet.


    a) Entscheidend für die Einschätzung, ob ein Richter oder eine Richterin abzulehnen ist, sei, ob die Äußerungen eines Richters den Schluss zulassen, dass der Richter einer der eigenen Ansicht widersprechenden Rechtsauffassung nicht mehr frei und unvoreingenommen gegenübersteht, sondern festgelegt (vgl. BVerfGE 35, 246 <254>; 142, 9 <15 Rn. 18>; 142, 18 <22 Rn. 15>; 148, 1 <8 Rn. 19>) und zwar so festgelegt ist, dass Umstände Anlass zur Sorge geben, dass der Richter sich gedanklich nicht mehr lösen kann oder will und entsprechend für Gegenargumente nicht mehr offen ist. Erforderlich sei eine Gesamtwürdigung der getätigten Äußerungen.


    b) Die vom Antragsgegner vorgebrachte Begründung sei jedoch unzureichend. Ein "Dislike" lasse keinen Schluss auf die Motive des Dislikenden zu. Ein derart allgemeiner Meinungsausdruck könne keine absolute Festlegung auf eine bestimmte Rechtsauffassung begründen. Dass auch ein Richter eine innere, politische Meinung habe, sei selbstverständlich. Es sei gerade Aufgabe des Richters, diese bei der Urteilsfindung zurückzustellen. Erst wenn zu besorgen sei, dass der Richter sich von seiner politischen Meinung nicht mehr lösen könne, sei ein Ablehnungsgesuch begründet.


    Warum dies vorliegend der Fall sein solle, habe der Antragsteller nicht dargetan. Die Behauptung, dass ein qualifiziertes Interesse am Ausgang des Verfahrens bestehe, sei haltlos und beruhe auf keiner Tatsachengrundlage, weshalb das Ablehnungsgesuch unbegründet sei.


    II.


    1. Die Ablehnungsgesuche sind nicht offensichtlich unzulässig, aber unbegründet.


    2. a) Die Richterablehnung aufgrund einer SIM-Off bestehenden Personenübereinstimmung zwischen Richter und Verfahrensbeteiligtem ist offensichtlich. Dieser Fall ist allerdings nicht übertragbar auf von Richter-Accounts getätigte "Likes" und "Dislikes". Diese sind nach § 3 IV vDGB SIM-Off zu werten. Im Gegensatz zur in Fall eins offensichtlich bestehenden Befangenheit, ist ein SIM-Off getätigter Meinungsausdruck eines Richter-Accounts nicht ausreichend.


    b) Darüber hinaus ginge damit auch bei einer entsprechenden - aber vorliegend nicht angezeigten - Berücksichtigung keine absolute Festlegung auf eine bestimmte Rechtsauffassung einher.



    Neuheimer

    Richter am Obersten Gericht

    Bundeskanzler a.D.

    Administrator