DEBATTE | XIV/012: Entwurf eines Gesetzes zur Verschärfung versammlungsrechtlicher Strafvorschriften

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    AUSSPRACHE

    Entwurf eines Gesetzes zur Verschärfung versammlungsrechtlicher Strafvorschriften


    Liebe Kolleginnen und Kollegen,


    wir schreiten nun zur Aussprache über den vom Abgeordneten Fuhrmann eingebrachten "Entwurf eines Gesetzes zur Verschärfung versammlungsrechtlicher Strafvorschriften" (Drs. XIV/012). Die Dauer der Aussprache beträgt - den Regularien unserer Geschäftsordnung entsprechend - zweiundsiebzig Stunden.


    Ich eröffne die Aussprache.



    gez. Wolf

    - Vizepräsident des Bayerischen Landtages -



  • Herr Präsident,

    geschätzte Kollegen,


    was man anfangs möglicherweise noch als Streich hätte abtun können, wurde in Berlin für eine Radfahrerin zur Todesgefahr. Unabhängig von der strafrechtlichen Verantwortung der Blockierer in diesem konkreten Fall, ist zu konstatieren, dass Blockaden von Straßen lebensgefährliche Folgen haben können. Aus diesem Grunde sind Blockadeversammlungen mehr einem illegalen Autorennen vergleichbar, denn einer friedlichen Versammlung, die einen wertvollen Beitrag zur demokratischen Willensbildung leistet. Neben der Entstehung konkreter Lebens- und Körperverletzungsgefahren verunmöglicht diese Art von Versammlung aber auch die ordnungsmäßige Nutzung der dem Verkehr gewidmeten Straßen. In der Folge können Menschen nicht zur Arbeit erscheinen, Termine nicht wahrgenommen werden oder dringliche Lieferungen nicht rechtzeitig zugestellt werden. Nach Anzahl, Dauer und Häufigkeit überschreiten die Aktivisten der letzten Generation die Schmerzensgrenze, was ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers erforderlich macht. Vor diesem Hintergrund ist der vorgelegte Gesetzesentwurf zu verstehen.


    1.

    Die Staatsregierung ist sich dessen gewahr, dass die Versammlungsfreiheit einen hohen Stellenwert genießt und jede Einschränkung gut begründet werden muss. Der einzuführende besondere Genehmigungsvorbehalt genügt diesen Anforderungen und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Zwar wird die Ausübung der Versammlungsfreiheit bei der gebotenen typisierenden Betrachtung durch eine solche Bestimmung eingeschränkt, doch entscheidet die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen. In der Regel ist zugunsten der Versammlungsfreiheit zu entscheiden, wenn dem nicht überwiegende öffentliche Interessen oder Interessen privater Dritter gegenüberstehen. Es obliegt hier der Verwaltungsbehörde, die Versammlungsfreiheit gegen das Recht zum Gemeingebrauch öffentlich gewidmeter Straßen sowie anderer Schutzgüter wie Leib, Leben und Eigentum abzuwägen und zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Hierbei wird die Behörde alle relevanten Umstände zu berücksichtigen haben, wie Ort der Versammlung, Häufigkeit gleichartiger Versammlung an dem gleichen oder einem ähnlichen Ort sowie die Möglichkeit, die Versammlung durch Ordnungskräfte abzusichern. Es geht nicht an, dass sich Aktivisten unter Berufung auf einen höheren Zweck, die Straße an sich reißen. Da ein Totalverbot von Versammlungen auf öffentlichen Straßen kaum verfassungsgemäß umsetzbar wäre, geht die Staatsregierung hier bewusst den Weg einer Ermessensentscheidung.


    2.

    Das bisher vorgesehene Anmeldeerfordernis ist nach Auffassung der Staatsregierung nicht hinreichend, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die von derartigen Versammlungen ausgehen, zu bekämpfen. Zum einen sind hiervon zahlreiche Ausnahmen anerkannt. Zum anderen führt nach überwiegender Auffassung der bloße Verstoß gegen das Anmeldeerfordernis nicht zu einer materiell-rechtlichen Auflösungslage. In dem Erfordernis der Genehmigung sieht die Staatsregierung demgegenüber einer abstrakt typisierende Abwägung: Die Nichtanzeige und fehlende Rücksprache mit der Versammlungsbehörde begründet in dem speziellen Fall einer Versammlung auf öffentlichen Straßen, eine unzumutbare Gefahr, die ohne Weiteres zu einer Auflösungslage führen sollte. Das bedeutet, um dies nochmal herauszustellen, nicht, dass Versammlungen auf öffentlichen Straßen nicht mehr möglich sind. Sie müssen jedoch zwingend von der Versammlungsbehörde abgesegnet werden. Hierauf besteht je nach Situation auch ein Rechtsanspruch, der mithilfe einer einstweiligen Anordnung auch gerichtlich erzwungen werden kann.


    3.

    Um die Durchsetzung des vorbezeichneten Genehmigungserfordernisses zu effektuieren, werden die bereits bestehenden Strafnormen erweitert. Zum einen ist das Veranstalten oder die Teilnahme an einer nicht genehmigten VErsammlung auf öffentlichen Straßen als abstrakte Gefährdung unter Strafe gestellt. Zum anderen werden auch konkrete Gefährdungsdelikte sowie ein erfolgsqualifiziertes Delikt eingeführt. Wenn es durch die Tat zu einer Gefährdung von Leib, Leben oder Sachen von bedeutendem Wert kommt, ist eine nicht unerhebliche Freiheitsstrafe möglich. Die Ausarbeitung des hier maßgeblichen Gefahrzusammenhangs bleibt Rechtsprechung und Wissenschaft überantwortet. Klar ist nur, dass sich nicht eine genehmigungsspezifische, sondern eine handlungsspezifische Gefahr realisieren muss. Es kommt nicht darauf an, ob die Gefahr bei Einholung einer Genehmigung vermeidbar gewesen wäre. Das Fehlen der erforderlichen Genehmigung ist lediglich Anknüpfungspunkt für die Tat als solche. Insoweit stellt dies ein einfach nachprüfbares und damit rechtssicheres Kriterium für die Rechtsanwendung dar.


    4.

    Sehr geehrte Kollegen, wir wissen nicht, wann und wo die letzte Generation wieder zuschlägt. Daher ist Gefahr in Verzug, so dass ich eine schleunige Sachbehandlung anrege. Als Staatsminister für Justiz & Inneres werde ich dafür sorgen, dass - wenn die vorgeschlagene Änderung denn beschlossen wird - Verstöße konsequent strafrechtlich verfolgt werden. Ein Vorgehen wegen Nötigung (§ 240 StGB) ist offenkundig nicht ausreichend, um diese Irren zur Besinnung zu bringen! Wohl fehlt es einigen Ministern anderenorts an der nötigen Motivation. Dieses Schauspiel dürfen wir in Bayern nicht mit uns machen lassen, meine sehr geehrten Damen und Herren!


    Ich bitte um Zustimmung!

  • Sehr geehrter Herr Präsident,

    Sehr geehrte Damen und Herren,


    ich danke dem Staatsminister zunächst für die Einbringung des vorliegenden Entwurfes und auch dafür, dass wir über dieses Thema - zumindest bisher - in der gebotenen Sachlichkeit diskutieren können. Die Debatte über die Straßenblockaden erhitzt die Gemüter ja teilweise erheblich und ich denke wir tun gut daran, unsere Emotionen bei der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen zurückzuhalten.


    Ich muss zugeben, dass mich der Antrag der Staatsregierung in vielerlei Hinsicht spaltet. Zum einen bin ich kein Freund von Kurzschlussreaktionen und ich bin mir noch nicht sicher, ob die paar Blockadeaktionen wirklich schon der Auslöser sein sollten, unser Versammlungsrecht zu ändern. Andererseits muss man auch sehen, dass die Klimaaktivisten durch diese Blockaden die Zivilbevölkerung für ihre Zwecke in Anspruch nehmen, was keinesfalls zu befürworten ist und was auch nicht Schule machen darf.


    Grundsätzlich stehe ich dem Vorschlag zur Einführung des Genehmigungsvorbehaltes nicht gänzlich abgeneigt gegenüber. Ich bin mir derzeit ehrlicherweise jedoch nicht sicher, ob ich diesen Genehmigungsvorbehalt auch tatsächlich für erforderlich und verhältnismäßig halte. Der Dreh- und Angelpunkt der Debatte ist doch, dass die Straßenblockaden u. a. zu möglicherweise verspätetem Eintreffen von Einsatzfahrzeugen führen könnten, wenn ich das richtig sehen. Eine Anmeldung wäre in diesem Falle aber schon ausreichend, um den Behörden, Leitstellen und Einsatzkräften die notwendigen Informationen über vorhandene Straßensperrungen zur Verfügung zu stellen. Wäre es an dieser Stelle nicht als milderes Mittel möglich, Auflösungen bei nicht angemeldeten Versammlungen und Aufzügen auf öffentlichen Straßen vorzusehen, ohne solche Versammlungen pauschal einem Genehmigungsvorbehalt zu unterwerfen? Positiv anzumerken ist dagegen sicherlich, dass die Genehmigung an die Ermessensentscheidung einer Behörde geknüpft ist, die einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist.


    Dem vorgeschlagenen Strafmaß stehe ich dagegen sehr kritisch gegenüber. Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, das ist eine Ansage. Wenn man davon ausgeht, dass auch Menschen, die eine Rettungsgasse blockieren oder nicht bilden, unter Umständen eine erhebliche Verzögerung der Ankunftszeit von Einsatzkräften verursachen, diese aber mit mickrigen Bußgeldern davonkommen, dann sehe ich da doch ein grobes Missverhältnis. Wer hilfeleistende Personen behindert, wird nach § 323c StGB mit maximal einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft. An dieser Stelle müsste man über härtere Strafen solcher Delikte nachdenken und das Problem an der Wurzel packen. Ich sehe an dieser Stelle jedoch nicht, welche Maßstäbe die Staatsregierung bei dem vorgeschlagenen Strafmaß angelegt hat. Mir scheint dieses absolut willkürlich gewählt zu sein. Weiter frage ich mich, ob das tatsächliche Verursachen eines Todes oder schwerer Gesundheitsschädigungen nicht ohnehin schon strafrechtlich erfasst wird und inwieweit es hier einer speziellen Regelung im BayVersG bedarf?


    Alles in allem halte ich den Entwurf in seiner momentanen Fassung daher für nicht zustimmungswürdig.


    Herzlichen Dank.

  • Herr Präsident,


    die vorgetragenen Einwände sind unberechtigt. Die Beibehaltung des Status Quo ist selbstredend nicht zureichend. Dem im Bundes- und Landesversammlungsrecht enthaltenen Anmeldeerfordernis liegt die Konzeption einer Erlaubnis mit Verbots- bzw. Auflagenvorbehalt zugrunde, während wir für ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt eintreten. Dieses Verbot ist nach diesseitiger Ansicht deswegen erforderlich, weil Versammlungen auf Straßen bei der gebotenen typisierenden Betrachtung immer und per se gefährlich sind, dass eine intensive Prüfung der Behörde angezeigt und die positive Freigabe erforderlich ist. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein normaldenkender Mensch würde doch nicht auf die Idee kommen, dass er einfach so die Straße für seine Zwecke in Anspruch nehmen kann, wenn er diese anmeldet und im Anschluss nichts mehr von der Behörde hört. Versammlungen sind per se verkehrsfremde Eingriffe von außen, die zwingend genehmigt werden müssen.


    Den Vorwurf einer willkürlichen Strafrahmenwahl vermag die Staatsregierung ebenfalls nicht zu erkennen. Freiheitsstrafe von einem bis zehn Jahren sind möglich, wenn durch die Tat ein Mensch stirbt oder erheblich, den Fällen des § 226 StGB nahekommend, an der Gesundheit geschädigt wird. Dieser Strafrahmen ist unseres Erachtens angemessen und orientiert sich an dem bereits vorhandenen Gefährdungs- und erfolgsqualifizierten Straßenverkehrsdelikte der §§ 315b ff StGB und überträgt diesen Rahmen und Dogmatik auf versammlungsspezifische Gefahren, welcher die Staatsregierung begegnen möchte. Es kann dahingestellt bleiben, ob die geäußerte Rechtsansicht, ein Autofahrer sei wegen dem Tod einer Person wegen der blockadeursächlichen Verspätung des Rettungswagens nur gem. § 323c StGB strafbar, zutrifft oder nicht. Dies ist hier nicht das Thema; hierfür ist der Freistaat nicht gesetzgebungskompetent. Die Kompetenz erstreckt sich alleine auf versammlungsspezifische Gefahren. Dass die vorgeschlagene Erfolgsqualifikation dem Strafrahmen nach über § 222 StGB, tateinheitlich zu § 223 StGB, hinausgeht, soll nicht bestritten werden. Einen Ausgleich zwischen dem Strafrahmen vorsätzlicher und nur fahrlässiger Delikte zu schaffen, ist aber auch gerade Aufgabe dieses Konstruktes. Hier liegt nämlich eine sog. Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination vor. Der bewusste Verstoß gegen ein Gebot des Gesetzgebers, das dieser gerade zum Schutz des verletzten Rechtsguts erlassen hat, legitimiert die erhöhte Strafandrohung.