XII/022 | Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland

  • Bravo Herr Kassab, Bravo!

    Dr. Christian Theodor Felix Reichsgraf Schenk von Wildungen

    Vizepräsident des Deutschen Bundestages,

    Präsident des bayrischen Landtages a.D.

    Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt a.D.

    Staatssekretär im Staatsministerium der Finanzen und für Heimat des Freistaates Bayern a.D.

    Ministerpräsident des Freistaates Bayern a.D.


    "Wir werden Ambos ,wenn wir nichts tun um Hammer zu sein."

    Fürst Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen (1815-1898)

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  • Sehr geehrter Herr Präsident,

    sehr geehrte Damen und Herren,


    auch ich habe mich sehr über diesen nicht in der Koalition abgestimmten Antrag gelinde gesagt gewundert. Der Kollege Kassab hat ja schon die meisten Argumente gebracht, die dagegen sprechen.

    Die gewachsene Dominanz der christlichen Kirchen in unserer Gesellschaft hat auch Strukturen geschaffen, auf denen sich der Staat nun recht bequem ausruht. Denken Sie nur an kirchliche Schulen und Krankenhäuser, an Kindergärten, Tafeln, sonstige karitative Einrichtungen. Wo stünden wir denn ohne diese Dinge, denken Sie nur einen Augenblick in welcher Situation wir wären, wenn nun der Staat all diese Einrichtungen übernehmen müsste, geschweige denn für seine Kosten aufkommen müsste. Die Kirchen übernehmen derart wichtige Aufgaben in unserer Gesellschaft abseits von Glaubensvermittlung, dass dieser Entwurf ihnen wie ein Schlag ins Gesicht vorkommen muss. Je länger ich darüber nachdenke, desto irrsinniger kommt mir dieser Vorstoß vor.


    Zudem werden die christlichen Kirchen ja nicht per se bevorzugt, nur weil sie christlich sind, wie es die Kollgin Christ uns offenbar weißmachen will. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung auch anderen Religionsgemeinschaften das Recht auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt, wenn gewisse Voraussetzungen, wie Mindestgröße, Beständigkeit und Rechtstreue gegeben sind. So sind etwa auch jüdische Gemeinden als Körperschaft anerkannt und können Steuern von ihren Mitgliedern erheben.

    Ähnliches gilt übrigens bei den Feiertagen: Auch jetzt hat etwa ein Moslem das Recht sich zum Zuckerfest freizunehmen, ohne dass dies auf seinen Urlaub angerechnet werden darf. Überdies noch zum Thema Feiertage: Mal davon abgesehen, dass dies ohnehin Landesrecht ist und jedes Land entscheiden kann, welche Feiertage sie einführt, ist es mir schleierhaft, wie man die Tradition und Kultur unseres Landes so mit Füßen treten kann und so tun als würde man alle Menschen, die nicht an Gott glauben, durch aufgezwungene Feiertage in Geiselhaft nehmen. Von einer Partei, die stets Toleranz predigt, erwarte ich auch, dass sie diese ebenso all jenen Christen entgegenbringt, die an 10 von 365 Tagen, das sind gerade mal 2% aller Tage im Jahr, Rücksicht entgegenbringt.


    Ein laizistisches Modell wie hier vorgeschlagen berücksichtigt in keinster Weise unsere gewachsene Kultur und Tradition oder die Geschichte unseres Landes. Der Antrag, so unschuldig er daherkommen mag, will nur seine eigene Ideologie durchdrücken. Das werden wir ebenso wie die Allianz und das FFD nicht mittragen.


    Danke sehr.

  • Herr Präsident,


    ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Gelegenheit nutzen, um eben auf eine faktenbasierte, ideologiebefreite Debatte zurückzukommen und auch einige Sachen richtigzustellen.


    1.


    Herr Kassab, Sie sagen, ich zitiere:

    Das Grundgesetz ist in unserem Land seit Ende des Zweiten Weltkrieges das Symbol für Freiheit, SIcherheit und Fortschritt und die Präambel stellt die einleitenden Worte für dieses Werk dar.

    Die Bundesrepublik geht in ihrer Gründung und Vergangenheit auf Christliche Werte zurück und dies ist unauslöschlich in der DNA dieses Landes verankert. Christliche Werte sind soziale Werte.

    Wir halten es für falsch und durchaus teilweise verwerflich, die Vergangenheit und die Werte auf denen unser Land aufgebaut ist mit der Tilgung mancher Wörter mit Füßen zu treten.


    An dieser möchte ich mit dem Irrtum aufräumen, die Bundesrepublik Deutschland gehe in Ihrer Gründung auf christliche Werte zurück. Richtig ist, dass der Mensch und die Demokratie im Verfassungsgefüge im Mittelpunkt und dass dies zu erhalten ist. Dies geht jedoch mitnichten auf das Christentum zurück. Zahlreiche christliche Werte, auch Bestandteile der zehn Gebote, lassen sich auf die Zeit vor der Entstehung des Christentums zurückdatieren. Allein das spricht schon gegen einen originären Einfluss des Christentums auf die Entwicklung dieser Werte. Das Christentum in der heutigen Zeit mag zwar diese Werte aufgegriffen und übernommen haben, aber der originäre Ursprung ist mitnichten beim Christentum zu sehen. Vor diesem Hintergrund ist es schon fehlerhaft, von sogenannten "christlichen Werten" zu sprechen.


    Mitnichten würden diese Werte durch diese Grundgesetzänderung mit Füßen getreten, nein, diese Werte bleiben auch danach erhalten. Dass hier behauptet wird, irgendwelche Werte würden mit Füßen getreten werden - was überhaupt nicht der Fall ist -, lässt die Frage aufkommen, bei wem die ideologische Verblendung eher zu verorten ist, aber zurück zum Thema: Wenn wir in die Präambel sehen: "Gott" wird vor dem Menschen erwähnt. Alleine das und überhaupt die Erwähnung eines Gottesbezuges in der Verfassung implizieren, dass der Staat hier eben nicht neutral ist und die Existenz eines Gottes voraussetzt. Im Übrigen kommen andere demokratische Staaten wunderbar mit dem Laizismus als Trennung von Kirche und Staat klar, in denen grundlegende demokratische Werte überhaupt nicht mit Füßen getreten werden. Beispiel: Artikel 1 der Verfassung Frankreichs. Da ist der Laizismus verankert und das ist auch gut so, denn es wird Zeit, dass wir wirklich einmal zwischen Religionen und Staat trennen.


    2.


    Die gewachsene Dominanz der christlichen Kirchen in unserer Gesellschaft [...]


    Wenn wir uns mal die Mitgliederzahlen ansehen, dann wohl er die kontinuierlich schrumpfende, denn die gewachsene Dominanz. Seit Jahren treten pro Jahr immer mehr Menschen aus eine der beiden christlichen Kirchen aus.


    3.


    Frau Strauß, Sie haben das Nachfolgende ausgeführt, ich zitiere:

    Zudem werden die christlichen Kirchen ja nicht per se bevorzugt, nur weil sie christlich sind, wie es die Kollgin Christ uns offenbar weißmachen will. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung auch anderen Religionsgemeinschaften das Recht auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt, wenn gewisse Voraussetzungen, wie Mindestgröße, Beständigkeit und Rechtstreue gegeben sind. So sind etwa auch jüdische Gemeinden als Körperschaft anerkannt und können Steuern von ihren Mitgliedern erheben.

    Das nicht, theoretisch könnten auch andere Religionsgemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechtes Steuern erheben. Die meisten machen es aber nicht, sondern finanzieren sich aus Spenden. Es ist nicht ersichtlich, warum die Kirche das nicht machen könnte. Im Übrigen würde die Steuererhebung immer noch vom Wohlwollen des jeweiligen Landesparlamentes, das das entsprechende Steuergesetz zu verabschieden hätte, abhängen. Also dieser Einwand ist immer noch zu kurz gedacht.


    4.


    Ferner sagen Sie:

    denken Sie nur einen Augenblick in welcher Situation wir wären, wenn nun der Staat all diese Einrichtungen übernehmen müsste, geschweige denn für seine Kosten aufkommen müsste.

    Das wäre mit Blick auf den Haushalt überhaupt gar kein Problem, nachdem karitative Einrichtungen bisweilen ohnehin schon über 90 % durch den Staat finanziert werden und Artikel 138 I WRV i. V. m. Artikel 140 GG durch diesen Entwurf überhaupt nicht berührt wird.

  • Herr Präsident,

    liebe Kolleginnen und Kollegen,


    endlich kommt mal etwas Leben in die Bude. So leidenschaftlich, wie hier debattiert wird, hätte die ganze Legislaturperiode ablaufen sollen. Nicht nur die üblichen Verdächtigen – die Bundesfinanzministerin, der Rechtsgraf und die Oppositionsführerin – führen hier eine sachorientierte Debatte, sondern das ganze Haus. Die Internationale Linke ist mal wieder dabei, Frau von Lotterleben stellt Fragen und sogar die konservativen Mitglieder der Bundesregierung sind aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Ich bin begeistert, liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz ernsthaft. So muss hier eigentlich jede Drucksache ablaufen.


    Nun aber zum Antrag. Ich bin etwas verblüfft, dass die Kollegin Christ offenbar einen Alleingang wagt und damit ihren Koalitionspartnern deutlich vor den Kopf stößt. Nachdem die Regierung bisher deutlich besser gearbeitet hat als ich erwartet hatte, kommt dieser Schritt für mich sehr überraschend. Und da verstehe ich die Kolleginnen und Kollegen von CDSU und Allianz ausnahmsweise vollkommen: Ein solches Verhalten ist in einer Regierung ein absolutes No-Go. Wie kann man denn ohne vorherige Kommunikation einen Antrag einbringen, der dem Fundament der übrigen Regierung diametral gegenübersteht? Dass ich das einmal in meiner Rolle als Oppositionsführerin sagen würde, hätte ich nicht gedacht. Das Verhalten der Kollegin – und der gesamten Fraktion der Grünen, sollte es abgesprochen worden sein – ist inakzeptabel und zeugt von einem ausgesprochen schlechten Politikstil.


    Wenden wir uns dem Inhalt zu: Wir als Sozialdemokratische Partei vereinen, auch in unserer Fraktion, beide Seiten. Während ich Atheistin bin, ist der Kollege Sommer beispielsweise sehr engagiert in der Kirche. Unsere innerfraktionellen Debatten, wie wir zum vorliegenden Antrag stehen, waren dementsprechend interessant und beleuchteten ausführlich beide Seiten. Wir wissen, dass religiöse Gemeinschaften einen großen Beitrag zur sozialen Teilhabe, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Wohlfahrt beitragen. Wir wissen, dass Religionen unsere Geschichte und unsere Gesellschaft maßgeblich über Jahrhunderte geprägt haben und auch noch heute prägen. Wir wissen, dass Religion nicht eindimensional ist und stets alle Seiten betrachtet werden müssen. Wir wissen aber auch, dass der Anteil praktizierender Gläubiger seit Jahren sinkt, dass die Kirchen stetig Mitglieder verlieren, dass die Haltung der Kirchen in vielen Lebensbereichen Vertrauen gekostet hat. Und ich möchte an dieser Stelle auch sagen, dass ich persönlich für einen konsequenten Laizismus bin. Ganz deutlich: ich persönlich, nicht die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei. Die Verwebung von Staat und Kirche, beispielsweise in der Finanzierung der Gehälter von Kirchenangestellten und sozialer oder Bildungsinfrastruktur, hat ausgedient und gehört stückweise abgeschafft. Ausgerechnet die beiden großen christlichen Kirchen haben keinen Grund, sich über Geldsorgen zu beschweren. Ich war dem Gesetzentwurf daher zu Beginn auch zugewandt. Inzwischen aber sehe ich das Thema differenzierter, und meine Fraktion stimmt mir da zu.


    Wir sehen nicht, dass dieser Achtzeiler die Komplexität des Themas abbilden kann. Mit der Verabschiedung dieser Änderung würden unglaublich viele Gesetze ungültig werden, die Rechtsprechung vergangener Jahrzehnte würde in zahlreichen Bereichen überholt werden. Unsere Gesellschaft würde von einem Tag auf den anderen einen tiefen Umbruch erleben, mit unvorstellbaren Folgen. Hier kommt auch das für Frau Christ charakteristische "Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft." zum Vorschein: von heute auf morgen so große Umwälzungen? Das halte ich für grob fahrlässig. Kurz und bündig: Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei begrüßt die Intention dieses Vorstoßes ausdrücklich. Wir haben jedoch große Sorge, dass die Folgen verheerend wären und durch die Antragstellerin völlig unterschätzt werden. Hier braucht es keinen spontanen, unabgesprochenen Entwurf im Deutschen Bundestag, sondern eine sorgfältige Absprache mit anderen Fraktionen sowie einer ergebnisoffenen gesellschaftlichen und politischen Debatte im Vorfeld. Aufgrund unserer unterschiedlichen persönlichen Hintergründe heben wir die Fraktionsdisziplin für die folgende Abstimmung auf. Ich für meinen Teil kann allerdings bereits ankündigen, dass ich den Entwurf ablehnen werde.


    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!